Das Sinnvolle ist nicht immer das Mögliche

In der Theorie klingt alles so klar. Man weiß, was helfen würde: regelmäßig hinausgehen, sich Pausen gönnen, geduldig bleiben, gelassener reagieren. Und doch — zwischen Wissen und Tun liegt manchmal eine ganze Welt.

Ich erlebe es oft in der Beratung: Angehörige nicken, wenn ich erkläre, wie wichtig es ist, auf sich selbst zu achten. Sie verstehen den Sinn, sie wollen es tun – und schaffen es trotzdem nicht. Nicht, weil sie nicht wollen. Sondern weil das Herz, die Sorge, die Schuldgefühle dazwischenstehen.

Manchmal braucht der Körper einfach Ruhe, aber der Kopf sagt: „Ich darf mich nicht ausruhen, er braucht mich doch.“ Oder: „Ich sollte geduldiger sein.“ – und kaum ist der Gedanke gedacht, kommt die Ungeduld zurück.

Das Sinnvolle ist nicht immer das Mögliche. Und das ist kein persönliches Versagen, sondern eine tiefe menschliche Erfahrung. Wir handeln aus Liebe, aus Angst, aus Gewohnheit – selten aus idealer Vernunft.

Vielleicht dürfen wir lernen, uns in diesen Widerspruch hineinzulehnen, ohne ihn sofort auflösen zu müssen. Manchmal genügt es, ihn wahrzunehmen: Ja, ich weiß, was gut wäre – und ich kann es gerade nicht. Dieser Satz kann befreiender sein, als jeder gut gemeinte Ratschlag.

Denn in dem Moment, in dem wir aufhören, uns dafür zu verurteilen, dass wir nicht perfekt funktionieren, öffnet sich etwas anderes – Mitgefühl. Für uns selbst, für den anderen, für die Situation, die so ist, wie sie eben ist.

Vielleicht ist genau das der erste wirklich sinnvolle Schritt: das Unmögliche nicht erzwingen, sondern das Mögliche würdigen.

Frage zum Mitnehmen: Was wäre heute möglich – ganz realistisch, ganz freundlich mit mir selbst? Vielleicht ist es kein großer Schritt. Vielleicht nur fünf Minuten Atemholen am Fenster, ein Lächeln, ein tiefes Ein- und Ausatmen. Aber manchmal beginnt Veränderung genau dort: im kleinen, ehrlichen Raum zwischen „Ich sollte“ und „Ich darf“.