Unerwartete Gefuehle im Pflegeprozess
- leyroutz
- vor 1 Tag
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Ein psychologischer Blick auf Schutzmechanismen und stille Gefühle
Nicht jeder Mensch, der einen demenzkranken Elternteil begleitet, empfindet tiefe Traurigkeit oder zerreißenden Schmerz. Manche berichten von innerer Leere, emotionaler Taubheit – oder sogar einem Gefühl der Erleichterung. Und oft schleicht sich dann ein beunruhigender Gedanke ein:„Was stimmt nicht mit mir?“
„Ich funktioniere einfach – ohne viel zu fühlen.“
Viele Angehörige beschreiben einen Zustand, in dem sie nur noch funktionieren. Sie managen Termine, organisieren Pflege, sind da – und bleiben dabei innerlich merkwürdig unberührt. Diese emotionale Distanz kann beunruhigen, besonders in einer Gesellschaft, die mit Verlust automatisch Trauer, Tränen und Rührung verbindet.
Aber:Diese Reaktion ist nicht falsch. Sie ist menschlich. Und sie hat psychologische Gründe.
Schutzmechanismus gegen Überwältigung
Wenn Gefühle nicht zugänglich sind, liegt das oft daran, dass sie zu viel wären. Die Psyche schützt sich. Diese Abspaltung ist kein Zeichen von Kälte – sondern von Selbstschutz.
Manche Menschen haben gelernt, in schwierigen Situationen lieber „abzuschalten“ als zu fühlen. Besonders dann, wenn:
die Beziehung zum Elternteil von Kindheit an konflikthaft oder distanziert war,
emotionale Verletzungen nie benannt wurden,
man schon früh gelernt hat, dass es sicherer ist, nicht zu viel zu fühlen.
Ambivalenz anerkennen – statt sich zu verurteilen
Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist selten nur liebevoll. Wer als Kind wenig Zuwendung erhalten hat, wer vielleicht sogar emotional verletzt wurde, erlebt die Demenzerkrankung des Elternteils oft mit widersprüchlichen Gefühlen. Neben Sorge und Pflichtbewusstsein kann auch Wut, Gleichgültigkeit oder Erleichterung auftauchen.
Statt sich dafür zu schämen, kann es hilfreich sein, sich Folgendes zu erlauben:
„Ich darf fühlen, was ich fühle – oder auch nichts.“ Es gibt kein „richtiges“ Gefühl bei Demenz. Jedes innere Erleben ist eine Reaktion auf das eigene Leben, die eigene Geschichte.
„Gefühllosigkeit ist oft ein temporärer Zustand.“ Was heute wie Leere erscheint, kann sich morgen als Trauer oder Sehnsucht zeigen. Gefühle entwickeln sich in Wellen – besonders in Veränderungsprozessen wie der Demenzbegleitung.
„Ich darf mir Unterstützung holen.“ Wenn die innere Taubheit belastet, kann therapeutische Begleitung helfen, sich selbst besser zu verstehen – ohne Schuld oder Scham.
Abschließender Impuls
Nicht jede Liebe weint. Manche Beziehungen sind leise. Und manche Menschen drücken ihre Zuneigung nicht in Worten oder Tränen aus – sondern im stillen Dasein. In der Entscheidung, Verantwortung zu übernehmen, auch wenn das Herz nicht mitjubelt.
Das zählt.
Und es ist zutiefst menschlich.

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