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Wenn alte Geschichten wieder lebendig werden – Erinnerungsfragmente und Familiennarrative bei Demenz

  • leyroutz
  • vor 2 Tagen
  • 2 Min. Lesezeit

„Er nennt mich plötzlich wie seine Schwester aus der Kindheit.“„Sie erzählt immer wieder dieselbe Geschichte – aber diesmal ganz anders.“


Für viele Angehörige ist es berührend – und manchmal auch irritierend –, wenn ein demenzkranker Mensch immer wieder in der Vergangenheit lebt. Besonders oft tauchen Fragmente aus der Kindheit oder Jugend auf. Erinnerungen, die jahrzehntelang geschlummert haben, werden plötzlich präsent – ganz gleich, ob sie tatsächlich so passiert sind oder nicht.


1. Warum Erinnerungen aus der Kindheit so präsent bleiben

Aus neuropsychologischer Sicht ist das gut erklärbar:Bei vielen Demenzformen, besonders der Alzheimer-Krankheit, sind die Hippocampusregionen früh betroffen. Sie sind zuständig für das Einspeichern neuer Informationen. Das bedeutet: Neues bleibt nicht hängen – Altes rückt ins Zentrum des Erlebens.


Die früh abgespeicherten autobiografischen Erinnerungen, vor allem aus der Jugendzeit (dem sogenannten „Reminiszenz-Buckel“), bleiben oft lange erhalten. Das Gehirn greift auf das zurück, was tief verankert ist – oft emotional aufgeladen, oft wiederholt erinnert, manchmal auch verklärt.


2. Wenn das Bild von früher nicht (mehr) stimmt

Für Angehörige kann es schmerzhaft oder verwirrend sein, wenn ihre Mutter plötzlich von einem „ganz furchtbaren Vater“ erzählt – obwohl dieser liebevoll war. Oder wenn der demenzkranke Vater sagt: „Ich habe dich nie gewollt“, obwohl er früher liebevoll war.

Hier ist es wichtig zu wissen:Demenz verändert nicht nur das Gedächtnis – sie verändert auch die Wahrnehmung.Alte Gefühle, Ängste oder unerledigte Konflikte tauchen in neuen Formen auf. Nicht alles, was gesagt wird, ist „die Wahrheit“ – aber es ist emotional bedeutsam.


3. Was Angehörige tun können

 Zuhören, ohne sofort zu korrigieren.Wenn der Vater seine Kindheit als „Kriegsdrama“ schildert, obwohl er 1946 geboren ist, geht es vielleicht nicht um Fakten – sondern um ein Lebensgefühl.

Erzählungen als Brücke nutzen.Die Vergangenheit kann eine Tür zur Verbindung sein – gerade, wenn das Hier und Jetzt brüchig wird. Fotoalben, alte Lieder, Gerüche oder vertraute Gegenstände können Erinnerungspfade öffnen.

Sich selbst emotional schützen.Wenn die Erzählung schmerzt (z. B. bei verzerrten Vorwürfen): tief durchatmen, Grenzen setzen, sich klarmachen: „Das ist nicht gegen mich – das ist Ausdruck innerer Unruhe.“

Die Erzählung als Spiegel nutzen.Was zeigt sich da vielleicht symbolisch? Gibt es alte Themen in der Familie, die jetzt durch die Demenz neue Worte finden?



Wenn Worte brüchig werden, bekommen Erinnerungen ein neues Gewicht.Sie sind nicht immer korrekt – aber sie sind immer bedeutsam.

Demenz bringt nicht nur Gedächtnisverlust – sie bringt auch Erinnerungsbewegung. Und wenn wir achtsam zuhören, erzählen uns diese Fragmente oft mehr über das Herz des Menschen als jede Diagnose.

💬 Welche Geschichte hat Ihr Angehöriger zuletzt erzählt – und was hat sie in Ihnen ausgelöst?

 
 
 

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© 2021 Christine Leyroutz - Alle Fotos von Fotografie_Lebzelt

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