Zwischen Fuersorge und Selbstschutz
- leyroutz
- vor 2 Tagen
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„Ich brauche Abstand – darf ich das überhaupt?“
„Ich kann doch meine Mutter nicht allein lassen.“ – „Was, wenn genau in dem Moment etwas passiert?“ – „Ich bin schließlich ihre Tochter, ihr Sohn – wer, wenn nicht ich?“ Solche inneren Stimmen begleiten viele Angehörige, wenn sie beginnen, sich abzugrenzen. Doch in der Pflegebeziehung ist das Ziehen von Grenzen kein egoistischer Rückzug – sondern ein Akt der Reifung. Wer sich erlaubt, in Beziehung zu bleiben, ohne sich selbst zu verlieren, handelt nicht herzlos, sondern heilsam.
Warum fällt Abstand oft so schwer?
Pflegende Angehörige sind nicht selten gefangen in einem emotionalen Dreieck zwischen Schuld, Pflichtgefühl und Liebe. Besonders in Familien, in denen emotionale Nähe an Leistung geknüpft war, fühlt sich jede Grenze schnell wie ein Verrat an. Oft verstärken gesellschaftliche Bilder diese Schuldspirale: „Wer seine Eltern liebt, ist immer da. Punkt.“
Aber das ist ein Mythos.
Psychologisch betrachtet gibt es mehrere Gründe, warum Grenzen schwer fallen:
Schuldgefühle: „Wenn ich mich zurückziehe, lasse ich sie im Stich.“ Doch Schuld ist oft ein Relikt früherer Familiendynamiken, nicht der Realität.
Konditionierte Rollenmuster: Wer immer die „Starke“ oder der „Verlässliche“ war, hat verinnerlicht: Nur wenn ich gebe, bin ich wertvoll.
Unrealistische Idealbilder: Gute Kinder opfern sich auf. Gute Angehörige haben kein Leben mehr. Doch genau das führt zu Überforderung und innerem Rückzug.
Was passiert, wenn keine Grenzen gesetzt werden?
Zunächst funktioniert man. Man hilft, organisiert, tröstet, fährt zum Arzt, wäscht Wäsche, klärt mit den Behörden. Doch irgendwann passiert etwas Subtiles: Der Funke erlischt.
Typische Folgen mangelnder Abgrenzung:
Emotionale Erschöpfung: Man ist nur noch müde, dünnhäutig, reizbar.
Verlust der Herzensverbindung: Aus Mitgefühl wird Pflicht, aus Nähe wird Belastung.
Unbewusste Übergriffe: Wenn man alles kontrollieren will, weil man selbst keine Kontrolle mehr über die eigenen Ressourcen hat.
Wie kann gesunder Abstand gelingen?
Abstand bedeutet nicht Ablehnung. Im Gegenteil: Nur wer sich selbst spürt, kann überhaupt in echter Beziehung bleiben.
Hilfreiche Schritte in die Selbstfürsorge:
Sich selbst Erlaubnis geben: „Ich darf Pausen machen. Ich darf auch mal Nein sagen.“ Dieser Satz wirkt einfach – ist aber tief heilsam.
Rituale des Rückzugs schaffen: Eine feste Auszeit pro Woche, ein Spaziergang am See, ein Nachmittag ohne Anrufbereitschaft – das sind keine Fluchten, sondern Notwendigkeiten.
Inneren Kontakt pflegen: Nähe muss nicht immer körperlich sein. Ein liebevoller Gedanke, ein Tagebucheintrag über schöne Momente – all das kann die Bindung stärken, selbst auf Distanz.
Abschließender Impuls
Grenzen sind kein Zeichen mangelnder Liebe – sie sind eine Form davon. Denn Nähe braucht Raum zum Atmen. Und wer sich erlaubt, gut für sich zu sorgen, schützt damit nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die Beziehung. Wie ein Gärtner, der nicht ständig gießt, sondern weiß: Auch Wurzeln brauchen Zeit, um sich im Boden auszubreiten.

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