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Tag 90: Wann haben Sie zuletzt eine Auszeit von der Pflege genommen?

  • leyroutz
  • 24. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

In der Pflegeethik wird zunehmend anerkannt, dass die Selbstfürsorge der Pflegenden keine Nebensächlichkeit oder gar ein Luxus ist, sondern eine ethische Verpflichtung. Kitwood erkannte bereits, dass die Qualität der Beziehung zwischen Pflegenden und Menschen mit Demenz direkt von der physischen und psychischen Verfassung der Pflegenden abhängt.

Aus dieser Perspektive ist regelmäßige Auszeit kein Akt des Egoismus, sondern eine Form der Verantwortungsübernahme – sowohl für sich selbst als auch für den Menschen mit Demenz. Nur wer seine eigenen Ressourcen immer wieder auffüllt, kann langfristig eine empathische und geduldige Betreuung gewährleisten.


Ein gestaffeltes Auszeit-System entwickeln

Effektive Selbstfürsorge in der Demenzbetreuung funktioniert am besten als gestaffeltes System verschiedener Auszeiten:

1. Mikro-Auszeiten (täglich, 5-20 Minuten):

Diese kurzen Atempausen können auch bei intensivem Pflegebedarf integriert werden:

  • Bewusste Atemübungen während der Angehörige ruht oder fernsieht

  • Eine Tasse Tee in Ruhe trinken, während der Angehörige beschäftigt ist

  • Einen kurzen Spaziergang um den Block machen, wenn eine Betreuungsperson kurz übernimmt

  • Eine 5-minütige Meditationsübung vor dem Aufstehen oder vor dem Schlafengehen

  • Bewusstes Musik hören mit Kopfhörern für ein paar Minuten

Die Wirksamkeit dieser Mikro-Auszeiten wird erhöht, wenn sie ritualisiert werden – etwa immer zur gleichen Zeit oder mit dem gleichen kurzen Ritual verbunden.


2. Mini-Auszeiten (wöchentlich, 2-4 Stunden):

Diese längeren Pausen ermöglichen echte Erholung und sollten fest im Wochenplan verankert sein:

  • Regelmäßiger Termin bei einer Selbsthilfegruppe mit paralleler Betreuung

  • Fester wöchentlicher Nachmittag, an dem ein anderes Familienmitglied oder ein ehrenamtlicher Helfer die Betreuung übernimmt

  • Nutzung von stundenweisen Entlastungsangeboten durch Pflegedienste

  • Teilnahme an einem regelmäßigen Kurs oder Hobby, der nur Ihnen dient

  • Wöchentlicher "Auszeit-Tag", an dem ein Tageszentrum die Betreuung übernimmt

Diese Mini-Auszeiten sollten nicht für andere Pflegeaufgaben oder Haushaltspflichten "zweckentfremdet" werden, sondern wirklich der persönlichen Erholung dienen.


3. Maxi-Auszeiten (monatlich oder quartalsweise, 1-7 Tage):

Diese längeren Regenerationsphasen sind essentiell für die langfristige Aufrechterhaltung der häuslichen Pflege:

  • Wochenendaufenthalte bei Freunden oder Verwandten

  • Kurzurlaube mit Unterstützung durch Kurzzeitpflege

  • Teilnahme an mehrtägigen Seminaren speziell für pflegende Angehörige

  • "Pflegeauszeit" durch temporäre Übernahme der Pflege durch andere Familienmitglieder

Diese Maxi-Auszeiten sollten langfristig geplant und als feste Termine im Jahreskalender verankert werden.


Innere und äußere Hindernisse überwinden

Trotz des Wissens um die Wichtigkeit von Auszeiten fällt es vielen pflegenden Angehörigen schwer, diese tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Die Hindernisse sind vielfältig:

Innere Hindernisse:
  • Schuldgefühle bei der Inanspruchnahme von Zeit für sich selbst

  • Sorge, dass niemand die Pflege so gut übernehmen kann wie man selbst

  • Angst vor negativen Reaktionen des Angehörigen

  • Identifikation mit der Pflegerolle bis zur Selbstaufgabe

  • Überzeugung, keine Auszeit "verdient" zu haben

Diese inneren Hindernisse können durch Selbstreflexion, Austausch mit anderen Betroffenen oder professionelle Unterstützung (z.B. durch eine Pflegeberatung oder Psychotherapie) adressiert werden.


Äußere Hindernisse:
  • Fehlendes soziales Unterstützungsnetzwerk

  • Finanzielle Einschränkungen

  • Mangelnde Kenntnis über Entlastungsangebote

  • Bürokratische Hürden bei der Beantragung von Leistungen

  • Geografische Isolation mit wenig Angeboten in der Nähe

Diese äußeren Hindernisse erfordern oft kreative Lösungen und hartnäckiges Nachfragen bei Beratungsstellen, Pflegekassen und kommunalen Angeboten.


Der "Auszeit-Kompass": Ein praktisches Werkzeug

Ein hilfreiches Instrument zur Planung und Reflexion ist der "Auszeit-Kompass". Dabei handelt es sich um ein einfaches Tagebuch mit folgenden Kategorien:

  • Energie-Barometer: Tägliche Einschätzung des eigenen Energielevels auf einer Skala von 1-10

  • Auszeit-Planung: Konkrete Planung der nächsten Mini- und Maxi-Auszeiten mit Datum und Art der Auszeit

  • Genussmomente: Dokumentation der täglichen Mikro-Auszeiten und der damit verbundenen positiven Empfindungen

  • Hindernisse: Notieren Sie, welche Gedanken oder äußeren Umstände es Ihnen schwer machen, Auszeiten zu nehmen

  • Lösungsideen: Sammeln Sie kreative Ideen, wie Sie Hindernisse überwinden können

  • Dankbarkeit: Notieren Sie täglich drei Dinge, für die Sie dankbar sind – auch in der herausfordernden Pflegesituation


Dieses Instrument hilft nicht nur bei der bewussten Planung von Auszeiten, sondern schärft auch die Wahrnehmung für kleine Freuden im Alltag und für die eigenen Grenzen. Es kann zudem als Nachweis dienen, wenn Sie sich gegenüber anderen Familienmitgliedern für Ihre Auszeiten rechtfertigen müssen.


Die transformative Kraft echter Auszeit

Wahre Auszeit bedeutet mehr als nur physische Abwesenheit von der Pflegesituation. Es geht um mentale und emotionale Distanz, die Raum schafft für Regeneration und neue Perspektiven. Kitwood würde betonen, dass in dieser Distanz oft eine neue Nähe entstehen kann – eine Nähe, die nicht von Pflicht und Erschöpfung geprägt ist, sondern von echter Verbundenheit.

Eine pflegende Tochter beschrieb es einmal so: "Nach meinem ersten richtigen Wochenende weg seit zwei Jahren habe ich meine Mutter mit neuen Augen gesehen. Plötzlich konnte ich wieder die Person hinter der Krankheit erkennen, die ich so lange nur als 'Pflegefall' wahrgenommen hatte."

Solche transformativen Erfahrungen unterstreichen, dass Auszeiten nicht nur der Erholung dienen, sondern eine tiefere Bedeutung für die Beziehungsqualität haben können.



 
 
 

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