Im Rahmen meiner täglichen Arbeit im Pflegeheim, bin ich immer wieder über Bewohner gestolpert, deren Lage sich innerhalb weniger Stunden massiv verschlechtert hat. Es zeigte sich oft das Bild einer schweren Demenz. Wir sprachen dann im Team immer von einem "Demenzschub". Erst durch intensive Beobachtung, Literaturrecherche und Austausch mit fachlich kompetenten Ärzten, war ich bald in der Lage ein Delir zu diagnostizieren.
Es zu entdecken ist der erste wichtige Schritt, es zu behandeln ist oft schwerer. Sehr oft fehlt es an Complience der behandelnden Ärzte. Ich hörte Aussagen wie: "hängen sie nicht so an ihren Bewohnern und lassen sie sie in Ruhe sterben." Viele andere Aussagen möchte ich Ihnen, liebe Leser, ersparen.
Oft endet das Delir mit dem Tod eines Erkrankten, aber wenn es früh genug erkannt und behandelt wird, hat man gute Chancen wieder gesund zu werden.
Immer wieder passiert es uns, dass neue Bewohner mit einer schweren Demenz bei uns ins Heim einziehen, von der sie nach 3 Monaten wieder geheilt sind. Die Diagnose wird oft im Krankenhaus gestellt. Die Umstände dazu möchte ich nicht kommentieren. Allerdings hat sich dann ihr selbstbestimmtes Leben in Luft aufgelöst. Es gibt viele tragische Familienschicksale, die ich hier an dieser Stelle erzählen könnte. Da mich diese Situation beschäftigt habe ich mich entschlossen, Energie in dieses Thema zu stecken.
Häufig ist ein Delir die Ursache für herausforderndes Verhalten bei an Demenz erkrankten Menschen. Genauso häufig ist es aber auch, dass ein Delir nicht erkannt wird.
Die Betreuung von Menschen in einem Delir ist sehr anspruchsvoll und herausfordernd für Familienangehörige, aber auch für Menschen, die in der Pflege arbeiten. Die Arbeit mit Menschen, die an einem Delir erkrankt sind, benötigt viel Fachwissen und Empathie, vor allem braucht es ein gut eingespieltes Team.
Das Delir ist eine psychiatrische Erkrankung, welche beim älteren Menschen häufig auftritt, aber als solche oft nicht erkannt und behandelt wird.
Wichtig ist, dass sowohl Angehörige als auch Mitarbeiter die in der Pflege arbeiten, geschult sind ein Delir zu erkennen, um die Erkrankung schnellstmöglich abzufangen und damit die Folgen so gering als möglich zu halten.
Der Anfang eines Delirs bei Menschen die an Demenz erkrankt sind, ist oft schwerer zu erkennen. Sind die Angehörigen und die Mitarbeiter aber in diesem Thema gut geschult, fällt es wesentlich leichter.
Man spricht von einer plötzlichen Veränderung, also einem plötzlichen Beginn. Es findet eine akute Verhaltensveränderung statt. Oft sind die erkrankten Menschen nicht mehr in der Lage tägliche Handlungen auszuführen, zusätzlich kommt es oft zu einer veränderten Bewusstseinslage. Häufig entstehen Halluzinationen und der Tag- Nachtrythmus ist komplett gestört. Das heißt ganz viele Betroffene schlafen in der Nacht gar nicht. Häufig wird die Nahrungsaufnahme und selbst das Trinken verweigert.
Der Verlauf eines Delirs ist sehr unterschiedlich, und verläuft bei jedem Menschen anders. Wichtig ist auf jeden Fall zu erkennen, was das Delir ausgelöst hat. Dafür gibt es viele unterschiedliche Gründe, eine Demenz ist immer ein Risikofaktor für ein Delir.
Auslöser:
Hohes Lebensalter
Hör- oder Sehbehinderung
Dehydration
Schmerz
Fremde Umgebung
Einnahme psychoaktiver Medikamente
Akute Infektionen
Elektrolytentgleisung
Chirurgischer Eingriff
Unterschiedliche Typen eines Delirs:
Hyperaktives Delir
Klinisch wird ein Delir entsprechend dem psychomotorischen Erscheinungsbild eingeteilt. Das hyperaktive Delir ist geprägt durch einen erhöhten Erregungszustand mit Umherwandern, teilweise aggressivem Verhalten und psychotischen Symptomen sowie vegetativen Entgleisungen. Die Patienten kennen keine Distanz und sind nicht eingrenzbar, beispielsweise betreten sie Zimmer anderer Patienten und können diese belästigen und auch gefährden.
Hypoaktives Delir
Dagegen ist das hypoaktive Delir durch eine allgemeine Verlangsamung, Apathie und Passivität gekennzeichnet. Hier präsentieren sich die Patienten inaktiv, liegen „apathisch“ in ihrem Bett, oder sitzen herum und melden sich nicht, wenn es ein Problem gibt. Patienten die sich in einem hypoaktiven Delir befinden bleiben dadurch oft unerkannt und werden nicht aktiv über Veränderungen ihrer akuten Symptomatik untersucht, weswegen lebensbedrohliche somatische Ursachen leichter übersehen werden. Diese Form tritt in etwa 25% der Fälle auf, wird aufgrund seiner „verborgenen“ Symptomatik oft übersehen und geht mit einer schlechteren Prognose einher.
Gemischtes Delir
Das gemischte Delir ist mit 50% die weit häufigste Form und enthält sowohl hyperaktive als auch hypoaktive Symptome, die im Wechsel zueinanderstehen (Reischies, 2016, S. 26-30; Kratz, 2007, S. 99).
Es gibt einige hilfreiche Unterscheidungen zwischen Delir und Demenz:
Ein Delir entsteht im Gegensatz zu einer Demenz, immer plötzlich, während sich eine Demenzerkrankung langsam fortschreiten entwickelt. Ist der betroffene Mensch bereits an einer Demenz erkrankt, verschlechtert sich dieser Zustand im Delir rapide.
· Ein Delir entwickelt sich häufig über Nacht
· Es dauert Stunden, Tage oder Wochen
· Der Tagesverlauf ist im Gegensatz zu einer Demenz fluktuierend, das heißt die erkrankten ·
Menschen sind zwischenzeitlich ohne Symptome
· Die Aufmerksamkeit und die Konzentration sind stark reduziert
· Die zeitliche und die örtliche Orientierung sind schwer gestört
· Handlungen und Verhalten erscheinen uns unsinnig
· Das Aktivitsniveau ist entweder hyperaktiv oder manchmal auf völlig apathisch
In meiner täglich praktischen Praxis erlebe ich, dass Harnwegsinfekte, Stürze, Schmerzen, Veränderungen von Medikationen und aber auch Elektrolytentgleisungen und Ortswechsel, als Auslöser für ein Delir häufig sind.
Um ein Delir richtig zu behandeln, ist es wichtig die Ursache dafür zu finden, und diese zu behandeln. Handelt es sich bei der Entstehung um ein Medikament, ist es wichtig dies abzusetzen.
Screeninginstrumente:
CAM
Ein einfaches, schnell durchzuführendes Screening mit einer Sensitivität von 94% und einer Spezifität von 89% bei hoher Inter-Rater-Reliabilität ist die CAM (Confusion Assesment Method). In der CAM werden neun Symptome erfasst: akuter Beginn mit Fluktuation, Aufmerksamkeitsstörung, Bewusstseinsstörung, Gedächtnisstörung, Desorientierung, desorganisiertes Denken, Wahrnehmungsstörungen (Halluzinationen), psychomotorische Veränderungen und Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus. Die CAM kann auf einen vierteiligen Algorithmus komprimiert werden, die dann neben geringem Zeitaufwand in den Alltag integrierbar ist (Wunderlich, Dahse, 2019, S. 58).
DOS
Die DOS (Delirium Observation Screening) Skala ist speziell für das Pflegefachpersonal. Die Skala beschreibt dreizehn im Pflegealltag beobachtbare Verhaltensweisen (verbal und nonverbal), welche den Symptomen des Delirs zugeordnet werden können: Der Patient nickt während des Gesprächs ein, wird durch Reize der Umgebung schnell abgelenkt, bleibt unaufmerksam im Gespräch oder in der Handlung, beendet begonnene Fragen oder Antworten nicht, gibt unpassende Antworten auf Fragen, reagiert verlangsamt auf Aufträge, denkt irgendwo anders zu sein, erkennt die Tageszeit, erinnert sich an kürzliche Ereignisse, nestelt und ist ruhelos, zieht zum Beispiel an Sonden und Katheter, reagiert unerwartet emotional, sieht und hört Dinge die nicht vorhanden sind.
Um ein Delir frühzeitig zu erkennen, haben Beobachtungen während jeder Schicht zu erfolgen und müssen dokumentiert werden. Verhaltensbeobachtungen können im Rahmen gewohnter Pflegetätigkeiten am Patienten durchgeführt werden (vgl. Baumgartner, Markus, Hafner, Martina, 2017).
Die DOS-Skala:
ermöglicht es, während einer Schicht innerhalb einer Minute eine Einschätzung der Beobachtungen über einen Patienten zu bilden.
ist aufgrund des einfach gehaltenen Konzeptes auch im Nachtdienst gut anwendbar.
ermöglicht es dem Pflegefachpersonal, auch in Abwesenheit eines Geriaters oder anderen Medizinern, ein Delir-Risiko zu erkennen. In akuten Fällen kann dies zu einer frühzeitigen Therapie beitragen.
Zeigt eine hohe Sensivität von 90% und eine Spezifität von 91% auf.
Behandlung
Medikamentöse Behandlung
In der medikamentösen Behandlung werden häufig Neuroleptika oder Clonidin verabreicht.
Nichtmedikamentöse Behandlung
Wichtig ist aber auch eine Nichtmedikamentöse Therapie, bei der wiederum die Angehörigen eine große Rolle spielen. Durch die vertraute Stimme und viel Wissen aus der Vergangenheit erreicht man beim Erkrankten oft von einer Entspannung der Situation. Man spricht dabei auch von einer Milieutherapie. Es wird versucht eine reizarme Umgebung zu schaffen und Stress zu vermeiden. Wichtig ist es, keinen Ortswechsel durchzuführen, deshalb sind Krankenhausaufenthalte oft zusätzlich Delir fördernd. Wichtig ist Orientierung zu bieten in Bezug auf Zeit und Ort, sowie dafür zu sorgen, dass sich der Tag- Nachtrytmus wieder normalisiert. Dies kann man erreichen indem man natürlichen Lichtverhältnissen arbeitet.
· Sicherheit und Orientierung bieten
· Angst mildern
· Behandlung delirogener Faktoren
· Vermeidung potenziell schädlicher Maßnahmen
Angehörige sind durch die plötzliche Veränderung oft erschrocken, deshalb ist es wichtig, sie verständlich über das Krankheitsbild aufzuklären, und sie in die Behandlung miteinzubinden.
Jedes Delir verschlechtert die kognitive Ausgangslage, deshalb ist es wichtig eine Umgebung zu schaffen in der ein Delir erst gar nicht entsteht, und wenn man ein Delir nicht sucht, findet man es nicht. Dies bestätigen auch wissenschaftliche Zahlen.
Delire bleiben in 32–66% der Erkrankungen unerkannt. Es kann davon ausgegangen werden, dass circa 40% der Fälle vermeidbar und bei frühzeitiger Diagnose gut behandelbar wären .
Von Seite der Ärzte ist es wichtig, Medikamente von Zeit zu Zeit zu evaluieren, man kennt heute schon sehr viele Medikamente von denen man weiß, dass zu einem hohen Prozentsatz Delir-fördernd sind.
Wichtig in Institutionen ist eine ausreichende Schmerztherapie und eine Umgebung die nicht sturzgefährdend ist.
Die wirksamste Delir Therapie stellt die Prävention dar. Sie kann das Risiko für ein Delir um bis zu 40% senken. Aus diesem Grund ist es wichtig, alle in der Behandlung geriatrischer Patienten beteiligten Berufsgruppen zu schulen, und diese in die Behandlung einzubinden.
Literatur
Baumgartner, Markus, Hafner, Martina (2017). Definition. In: Savaskan, Egemen, Hasemann, Wolfgang (Hrsg.), Leitlinie Delir (1. Auflage). Bern: Hofgrefe Verlag
Reischies, Friedel M. (2016). Symptomatologie und Epidemiologie. Kernsymptome des Delirsyndroms. In: Hewer, Walter, Thomas, Christine, Drach, Lutz M. (Hrsg.), Delir beim alten Menschen (1.Auflage). Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, S. 16-32?
Wunderlich, Silke, Dahse, Kirsten (2019). Demenz und Delir. Vom Symptom zu Diagnose und Therapie. (Hrsg.): Bayerische Landesapothekenkammer
Fotos: Fotografie Lebzelt
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