top of page

Wenn die innere Struktur bruechig wird: Planen und Handeln bei Demenz

  • leyroutz
  • vor 50 Minuten
  • 3 Min. Lesezeit

Es gibt einen Bereich im Gehirn, den Angehörige im Alltag oft zuerst bemerken, lange bevor Gedächtnislücken wirklich auffallen: die Fähigkeit zu planen, zu beginnen, dranzubleiben und Handlungen sinnvoll zu Ende zu führen. Diese sogenannten exekutiven Funktionen sind die innere Struktur, die unseren Tag zusammenhält. Wenn sie brüchig werden, wirkt das Leben plötzlich ungeordnet – auch dann, wenn Menschen sich noch an viele Dinge erinnern können.


Viele Angehörige beschreiben es so: Früher lief der Alltag einfach. Heute steht die Wäsche plötzlich im Flur, halb sortiert, weil die Person unterwegs den Faden verloren hat. Das Mittagessen beginnt gut, aber der Herd bleibt eingeschaltet, weil ein neuer Reiz dazwischenkommt. Termine werden vergessen, nicht weil das Gedächtnis alles löscht, sondern weil das strukturierende Element fehlt: ein inneres „Was ist jetzt der nächste Schritt?“.


Planen und Handeln sind keine kleinen Details, sondern zentrale Denkprozesse. Sie helfen uns, eine Aufgabe zu beginnen, durchzuhalten und abzuschließen. Sie helfen uns auch, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und nicht von jedem Geräusch oder jeder Emotion aus der Bahn geworfen zu werden. Wenn diese Fähigkeiten nachlassen, fühlt sich der Alltag für Betroffene oft wie ein chaotischer Strom an. Und für Angehörige wie eine endlose Reihe von kleinen, aber bedeutsamen Unsicherheiten.


Gerade am Anfang einer Demenz sind diese Veränderungen häufig subtil. Menschen merken, dass etwas nicht gelingt, können es aber schwer in Worte fassen. Sie werden schneller erschöpft, reagieren gereizt, ziehen sich zurück oder beginnen Aufgaben gar nicht mehr, um das Gefühl des Scheiterns zu vermeiden. Oft sieht es von außen wie „keine Motivation“ aus – tatsächlich ist es der Verlust der inneren Steuerung.


Für die Diagnostik sind exekutive Funktionen enorm wichtig. Denn sie sagen viel über die tatsächliche Alltagsbelastbarkeit aus. Genau deshalb ist es entscheidend, diese Bereiche im Gespräch zu thematisieren und auch im Befund sichtbar zu machen. Nicht nur, um die Diagnose zu verstehen, sondern weil diese Informationen später relevant sind, wenn es um Unterstützung, Therapie und Pflegegeld geht. Der Alltag entscheidet – und ohne diese Beschreibung bleibt ein wesentlicher Teil der Realität unsichtbar.


Für Angehörige kann es entlastend sein zu wissen: Es ist nicht fehlender Wille. Es ist nicht Bequemlichkeit. Es ist eine kognitive Veränderung, die man nicht wegdiskutieren kann. Aber man kann anpassen: klare Routinen, weniger gleichzeitige Aufgaben, einfache Schritte, wenig Ablenkung, genug Pausen. Und vor allem Verständnis.

Wenn die innere Struktur brüchig wird, brauchen Menschen mit Demenz eine äußere Struktur, die Halt gibt – ruhig, liebevoll und gut überlegt. Und Angehörige brauchen die Sicherheit zu wissen, dass sie im Alltag nicht „überreagieren“, sondern genau das beobachten, was die Neuropsychologie gut erklären kann: dass Planen und Handeln Bereiche sind, in denen Demenz sichtbar wird.


Typische Alltagsbeispiele für beeinträchtigtes Planen und Handeln bei Demenz

• Aufgaben werden begonnen, aber nicht fertiggestelltBeispiele: Wäsche sortiert, aber nicht eingeschaltet; Essen vorbereitet, aber nicht gekocht; Geschirr ausgeräumt, aber halb stehen gelassen.

• Schwierigkeiten, den roten Faden zu halten. Unterbrechungen führen dazu, dass der ursprüngliche Plan vollständig verloren geht.

• Probleme, mehrere Schritte hintereinander auszuführen. Auch einfache Mehrschritt-Aufgaben wirken überfordernd (z. B. „Jacke anziehen, Schlüssel nehmen, Tür abschließen“).

• Unerklärliche Unordnung im Alltag. Nicht, weil jemand „schlampiger“ wird, sondern weil inneres Sortieren und Priorisieren schwerfallen.

• Termin- oder Medikamentenplanung gelingt nicht mehr zuverlässig. Es wird nicht vergessen, dass etwas wichtig ist – aber der Ablauf bricht immer wieder zusammen.

• Schwierigkeiten, sich zu entscheiden. Selbst kleine Entscheidungen (Was koche ich? Welche Kleidung ziehe ich an?) wirken blockierend.

• Reizbarkeit oder Rückzug bei Routineaufgaben. Nicht, weil die Person „nicht will“, sondern weil die innere Steuerung so viel Kraft kostet.

• Häufige Ablenkbarkeit. Ein Geräusch, ein Gedanke oder ein anderer Mensch reicht, um die Handlung abrupt zu unterbrechen.

• Verlust des Überblicks bei Zeit, Abläufen und PrioritätenWichtige und unwichtige Tätigkeiten vermischen sich, der Tag verliert Struktur.

• Vermeidung von Aufgaben, die früher leicht waren. Aus Angst, zu scheitern oder aus dem Gefühl, „irgendwie nicht mehr hineinzufinden“.


ree

 
 
 

Kommentare


PER E-MAIL ABONNIEREN

Danke für die Nachricht!

© 2021 Christine Leyroutz - Alle Fotos von Fotografie_Lebzelt

bottom of page