Tag 77: Psychologische Unterstuetzung fuer pflegende Angehoerige: Ein unterschaetzter Rettungsanker
- leyroutz
- 11. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Als Gerontopsychologin beginne ich meine Beratungsgespräche mit pflegenden Angehörigen oft mit einer einfachen Frage: "Wie geht es Ihnen?" Die Reaktion ist fast immer dieselbe – ein kurzes Innehalten, manchmal ein überraschter Blick, dann oft Tränen. "Mir? Diese Frage wird mir selten gestellt. Alle fragen nur nach meinem Vater/meiner Mutter."
Die Forschung zeigt uns unmissverständlich: Die Betreuung eines Menschen mit Demenz gehört zu den psychisch belastendsten Aufgaben, die ein Mensch übernehmen kann. Die Kombination aus praktischen Herausforderungen, emotionaler Belastung und dem Erleben eines "schleichenden Verlusts" kann zu chronischem Stress, Erschöpfungsdepression und sogar eigenen gesundheitlichen Problemen führen. Und trotzdem werden 80% an Demenz erkrankte Menschen von ihren Angehörigen betreut und gepflegt.
Warum fällt es so schwer, Hilfe anzunehmen?
Viele pflegende Angehörige berichten mir von inneren und äußeren Barrieren, die sie davon abhalten, psychologische Unterstützung zu suchen:
"Ich sollte das alleine schaffen können."
"Andere haben es noch schwerer als ich."
"Ich habe keine Zeit für mich selbst."
"Was würden die Leute denken?"
"Ich kann meinen Vater/meine Mutter nicht allein lassen."
Hinter diesen Aussagen stehen oft tief verwurzelte Überzeugungen über Pflicht, Aufopferung und familiäre Verantwortung. So verständlich diese Gedanken sind – sie können zu einem gefährlichen Teufelskreis führen, in dem die eigene Gesundheit und das eigene Wohlbefinden immer weiter in den Hintergrund rücken.
Formen psychologischer Unterstützung
Als klinische Psychologin möchte ich Ihnen verschiedene Wege vorstellen, wie psychologische Unterstützung aussehen kann:
1. Einzeltherapie oder -beratung: In einem geschützten Raum können Sie über Ihre Gefühle sprechen – auch über die ambivalenten oder negativen, die Sie vielleicht sonst nicht aussprechen würden. Eine Therapie kann Ihnen helfen, Bewältigungsstrategien zu entwickeln und mit schwierigen Emotionen wie Schuld, Wut oder Trauer umzugehen.
2. Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit Menschen in ähnlichen Situationen kann unglaublich entlastend sein. "Endlich muss ich nichts erklären. Die anderen verstehen es einfach", berichtete mir eine Teilnehmerin. Neben dem emotionalen Support bieten diese Gruppen oft auch praktische Tipps und Informationen.
3. Psychoedukation: Wissen ist Macht – das gilt besonders in der Demenzbegleitung. Kurse und Seminare, die über die Krankheit, ihren Verlauf und den Umgang mit typischen Herausforderungen informieren, können Ihnen Sicherheit geben und das Gefühl der Überforderung reduzieren.
4. Online-Angebote: Für Angehörige mit wenig Zeit oder in ländlichen Regionen bieten Online-Beratungen, Webinare oder moderierte Foren eine niedrigschwellige Möglichkeit, Unterstützung zu erhalten. Auch die Selbthilfegruppe Klagenfurt bietet monatlich ein Zoom-Treffen an.
Die Wissenschaft ist eindeutig
Die Forschung zeigt klar: Psychologische Unterstützung für pflegende Angehörige führt zu:
Reduktion von Depressions- und Angstsymptomen
Verbesserter Lebensqualität
Längerer Fähigkeit, die häusliche Pflege aufrechtzuerhalten
Besserem Umgang mit herausforderndem Verhalten
Geringerer eigener Krankheitsanfälligkeit
Ein konkreter erster Schritt
Wenn Sie sich fragen, ob psychologische Unterstützung für Sie hilfreich sein könnte, stellen Sie sich folgende Fragen:
Fühlen Sie sich häufig erschöpft, überfordert oder traurig?
Haben Sie das Gefühl, Ihre eigenen Bedürfnisse komplett zurückzustellen?
Leiden Ihre sozialen Kontakte unter der Pflegesituation?
Haben Sie Schuldgefühle, wenn Sie an sich selbst denken?
Fühlen Sie sich manchmal allein mit Ihren Herausforderungen?
Wenn Sie eine oder mehrere dieser Fragen mit "Ja" beantworten, könnte psychologische Unterstützung für Sie wertvoll sein.
Denken Sie daran: Selbstfürsorge ist keine Selbstsucht – sie ist eine Notwendigkeit. Nur wenn Ihr eigener "Akku" regelmäßig aufgeladen wird, können Sie langfristig für Ihren Angehörigen da sein. Psychologische Unterstützung ist dabei nicht ein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke und Verantwortungsbewusstsein – sich selbst und Ihrem Angehörigen gegenüber.

Comments