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100 Tage gemeinsam auf dem Weg

  • leyroutz
  • 5. Mai
  • 5 Min. Lesezeit

Liebe betreuende Angehörige,

heute ist ein besonderer Tag für uns alle. Vor genau 100 Tagen haben wir gemeinsam eine Reise begonnen – eine Reise durch die vielschichtigen Landschaften der Demenzbegleitung, durch Höhen und Tiefen, durch Momente der Verzweiflung und unerwarteter Freude. 100 Tage, in denen ich versucht habe, Ihnen ein Stück des Weges zur Seite zu stehen, wenn auch nur durch Worte auf einem Bildschirm.


Ein Blick zurück

Als ich den ersten Blogbeitrag verfasste, war mir bewusst, wie anspruchsvoll Ihre Aufgabe ist. Ihre Geschichten und Ihre Rückmeldungen haben mich tief berührt – Geschichten von durchwachten Nächten und kleinen Triumphen, von wiedergefundenen Verbindungen und schmerzlichen Verlusten.


Wir haben über die neurobiologischen Grundlagen der Demenz gesprochen und über die Kraft eines Lächelns. Wir haben praktische Pflegetipps ausgetauscht und über die existenziellen Fragen nachgedacht, die diese Erkrankung aufwirft. Wir haben über die Veränderung von Beziehungen gesprochen und darüber, wie man trotz Allem Momente der Freude finden kann.

Ich erinnere mich an die E-Mail von Frau Blume, die schrieb, wie sie nach dem Beitrag über Musik und Demenz zum ersten Mal seit Monaten ihre Mutter wieder herzhaft lachen hörte, als sie gemeinsam alte Schlager sangen. Oder an Herrn Meier, der berichtete, wie ihm der Artikel über Validation half, nicht mehr gegen die "verdrehte Realität" seines Vaters anzukämpfen, sondern in seine Welt einzutreten – und wie sich dadurch die Konflikte reduzierten.


In diesen 100 Tagen haben wir über viele Themen gesprochen:

  • Die Balance zwischen Fürsorge und Selbstfürsorge

  • Den Umgang mit schwierigen Verhaltensweisen

  • Die Kommunikation jenseits von Worten

  • Das Bewahren von Würde und Autonomie

  • Die rechtlichen und finanziellen Aspekte der Pflege

  • Die Bedeutung von sozialen Netzwerken und professioneller Unterstützung


Und wir haben die kleinen, alltäglichen Dinge nicht vergessen:

  • Wie man eine Mahlzeit zum angenehmen Erlebnis macht

  • Wie man das Badezimmer demenzsensibel gestaltet

  • Wie man mit den Fragen der Nachbarn und Freunde umgeht

  • Wie man Feiertage und besondere Anlässe gestaltet

  • Wie man der Erschöpfung vorbeugt


Was ich von Ihnen gelernt habe

In diesen 100 Tagen habe ich mindestens so viel von Ihnen gelernt wie Sie vielleicht von mir. Ihre Kreativität im Umgang mit herausfordernden Situationen, Ihre unermüdliche Geduld, Ihre Fähigkeit, auch in den schwierigsten Momenten noch Liebe zu geben – all das hat mich tief beeindruckt und in meiner eigenen Arbeit inspiriert.

Ich habe gelernt, dass Demenzbegleitung kein linearer Prozess ist, sondern ein tägliches Neuorientieren, ein ständiges Anpassen und Umdenken. Ich habe gelernt, dass theoretisches Wissen wichtig ist, aber erst in der praktischen Umsetzung, im individuellen Alltag seine wahre Bedeutung entfaltet.


Vor allem aber habe ich gelernt, dass Sie, liebe Angehörige, die wahren Experten sind – Experten für Ihren geliebten Menschen, für seine Eigenheiten, seine Bedürfnisse, seine ganz persönliche Art, mit dieser Erkrankung zu leben.


Ein Blick nach vorn – Ihre Themen sind gefragt

Nach 100 Tagen intensiven Austauschs möchte ich nun den Blick nach vorn richten und Sie fragen: Welche Themen beschäftigen Sie jetzt? Welche Fragen sind offengeblieben? Worüber würden Sie in den kommenden Wochen und Monaten gerne mehr erfahren?

Manchmal stehen wir als Fachleute in der Gefahr, an den tatsächlichen Bedürfnissen der Betroffenen vorbeizuschreiben. Daher ist Ihre Stimme so wichtig. Vielleicht beschäftigen Sie ganz praktische Fragen:


  • Wie kann ich meinen Angehörigen motivieren, ausreichend zu trinken?

  • Wie gehe ich mit aggressiven Ausbrüchen um, ohne selbst emotional überfordert zu werden?

  • Wie kann ich die Sicherheit zu Hause erhöhen, ohne die Wohnung in ein "Gefängnis" zu verwandeln?


Oder es sind die tieferen, emotionalen Fragen, die Sie umtreiben:

  • Wie kann ich mit dem Gefühl umgehen, dass der Mensch, den ich liebe, langsam verschwindet?

  • Wie finde ich die Balance zwischen dem Respekt vor seiner Autonomie und notwendigem Eingreifen?

  • Wie kann ich mit meinen eigenen Schuldgefühlen umgehen, wenn ich an meine Grenzen komme?

  • Wie bereite ich mich auf den Abschied vor, der sich über Jahre hinziehen kann?


Vielleicht gibt es auch ganz spezifische Aspekte der Demenz, die in unseren bisherigen Beiträgen zu kurz gekommen sind:

  • Die besonderen Herausforderungen bei früh einsetzender Demenz

  • Der Umgang mit seltenen Demenzformen wie Lewy-Körper-Demenz oder frontotemporaler Demenz

  • Die Begleitung in sehr späten Stadien der Erkrankung

  • Die Verbindung von Demenz mit anderen Erkrankungen wie Parkinson oder Diabetes


Eine persönliche Reflexion

Wenn ich auf diese 100 Tage zurückblicke, dann denke ich an all die unerzählten Geschichten hinter Ihren Kommentaren und Fragen. Ich stelle mir vor, wie Sie vielleicht spätabends, wenn Ihr Angehöriger endlich eingeschlafen ist, diese Zeilen lesen – erschöpft, aber auf der Suche nach Verständnis, nach praktischen Tipps, nach einem Gefühl von Verbundenheit mit anderen, die Ähnliches erleben.

Ich denke an die Frau, die mir schrieb, sie habe seit drei Jahren kein ungestörtes Gespräch mehr mit ihrem Mann führen können, der nun in einer Welt lebt, die ihr zunehmend fremd erscheint.


Ich denke an den Sohn, der seine Karriere zurückgestellt hat, um für seinen Vater da zu sein, und der sich manchmal fragt, ob sein Vater ihn noch erkennt. Ich denke an die Tochter, die ihre Mutter nur noch alle zwei Wochen im Pflegeheim besuchen kann und sich jedes Mal fragt, ob sie genug tut.

In all diesen Geschichten erkenne ich eines: die tiefe menschliche Fähigkeit zu lieben und für andere zu sorgen, selbst unter den schwierigsten Umständen. Die Demenz ist eine grausame Erkrankung, die uns viel nimmt – aber sie kann uns nicht die Fähigkeit nehmen, in Verbindung zu bleiben, Momente der Freude zu schaffen und Würde zu bewahren.


Eine Einladung zum Dialog

Ich möchte diesen besonderen Beitrag mit einer herzlichen Einladung schließen: Teilen Sie mit mir und der Gemeinschaft, die in diesen 100 Tagen entstanden ist, Ihre Gedanken, Ihre Fragen, Ihre Wünsche für kommende Themen. Sie können dies in den Kommentaren tun, mir eine E-Mail schreiben oder das Formular auf unserer Website nutzen.

Jede Rückmeldung ist wertvoll – sei es ein ausführlicher Themenwunsch, eine kurze Frage oder einfach nur die Mitteilung, welcher der bisherigen Beiträge Ihnen besonders geholfen hat.

Ich verspreche Ihnen, jede Rückmeldung zu lesen und in die Planung der kommenden Beiträge einfließen zu lassen. Denn dieser Blog soll kein Monolog sein, sondern ein lebendiger Dialog, der sich an Ihren tatsächlichen Bedürfnissen orientiert.


Ein Wort des Dankes

Zum Abschluss möchte ich Ihnen von Herzen danken. Danken für Ihr Vertrauen, für Ihre Offenheit, für das Teilen Ihrer Erfahrungen. Danken für Ihre unermüdliche Arbeit, die oft im Verborgenen geschieht und doch so unendlich wertvoll ist.

Was Sie täglich leisten, ist außergewöhnlich. Sie bewältigen Herausforderungen, von denen die meisten Menschen keine Vorstellung haben. Sie geben Liebe, wenn es am schwersten ist. Sie bleiben, wenn andere gehen würden.

Der Schweizer Demenzforscher Christoph Held schrieb einmal: "Die Qualität einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang mit ihren verletzlichsten Mitgliedern." In diesem Sinne sind Sie, liebe pflegende Angehörige, nicht nur für Ihre Familienmitglieder da – Sie leisten einen unschätzbaren Beitrag für unsere gesamte Gesellschaft.

Ich freue mich darauf, den Weg mit Ihnen weiterzugehen – über die nächsten 100 Tage hinaus, wohin auch immer er uns führen mag.

In tiefer Verbundenheit und mit großem Respekt,

Herzlichst Christine Leyroutz


Einen Kommentar hinterlassen: Welche Themen beschäftigen Sie besonders? Worüber würden Sie in den kommenden Beiträgen gerne mehr erfahren? Ich freue mich auf Ihre Gedanken und Wünsche!

Christine Leyroutz mit Therapiehündin Frieda


 
 
 

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