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"Demenz: Das Vergessen im Spiegel der Menschlichkeit – Ein Blick durch Kitwoods Brille"



Demenz ist oft ein Begriff, der mit Verlust und Leid in Verbindung gebracht wird. Doch was, wenn wir einmal genauer hinsehen? Was, wenn wir, anstatt uns auf das zu konzentrieren, was verloren geht, die Schätze entdecken, die immer noch da sind? Die Arbeit von Tom Kitwood, einem Pionier in der Demenzforschung, lädt uns ein, genau das zu tun: den Menschen hinter der Diagnose zu sehen – und nicht nur das Vergessen.

Was bleibt, wenn das Gedächtnis geht?

In unserer schnelllebigen Welt definieren wir Menschen oft durch das, was sie tun und wissen. Wer viel erinnert, gilt als klug. Doch Demenz stellt diese Annahme auf den Kopf. Wenn das Gedächtnis langsam verblasst, stellt sich die Frage: Was bleibt? Kitwood beantwortet diese Frage mit einem einfachen, aber tiefen Gedanken: Es bleibt der Mensch.

Demenz mag das Gedächtnis rauben, aber sie nimmt nicht die Würde, die Gefühle, die Persönlichkeit. Die Person, die einst Geschichten erzählte, lachte, weinte, liebt und geliebt wurde, ist immer noch da. Kitwoods Ansatz erinnert uns daran, dass der Mensch in all seiner Ganzheit gesehen werden muss – nicht nur als „Patient“, sondern als Individuum, das Respekt und Zuneigung verdient.

Empathie statt Mitleid – Die Magie der Beziehung

Kitwood brachte ein Wort in den Diskurs über Demenz, das uns neu denken lässt: Personhood – die Menschlichkeit und Individualität jedes Menschen. Menschen mit Demenz sind nicht nur „kranke“ Menschen. Sie sind Menschen mit Bedürfnissen, Wünschen und Hoffnungen, auch wenn diese vielleicht nicht mehr in der Sprache ausgedrückt werden können, die wir gewohnt sind.

Was sie jedoch weiterhin verstehen, ist Zuneigung. Es ist die sanfte Berührung der Hand, ein warmes Lächeln, ein Blick voller Respekt. Beziehungen sind das, was bleibt, selbst wenn Worte verblassen. Und es sind oft die kleinen, stillen Momente, in denen wir erkennen: Liebe, Zuneigung und Respekt können auch ohne Worte tief empfunden werden.

Ein älterer Herr, der vielleicht den Namen seiner Tochter nicht mehr kennt, spürt dennoch ihre Nähe. Er mag vergessen, wer sie ist, aber er erkennt die Wärme, die sie ihm schenkt. Dieses Gefühl des Getragenseins in Beziehungen ist das, was Kitwood als zentralen Bestandteil der Demenzversorgung sieht.

Humor – Ein Lichtblick im Dunkeln

Humor, so zeigt Kitwood uns, ist nicht bloß ein Mittel, um schwere Situationen zu erleichtern, sondern eine Art, die Menschlichkeit des Augenblicks zu feiern. Ein Lachen, ein unerwarteter Kommentar oder ein unvorhersehbarer Moment, in dem die betroffene Person uns alle überrascht – das sind die Augenblicke, die zeigen: Sie ist immer noch da.

Es geht nicht darum, die Realität zu verleugnen oder die Herausforderungen kleinzureden. Es geht darum, das Leben trotz der Schwierigkeiten zu feiern. Denn ein gemeinsames Lachen, besonders in schwierigen Zeiten, schafft Nähe und öffnet Türen zu Herzen, die manchmal verschlossen erscheinen. Humor ist eine Brücke, die uns mit Menschen mit Demenz verbindet – in einer Sprache, die jenseits von Worten existiert.

Demenz als ein neues Kapitel, nicht das Ende

Kitwood fordert uns auf, Demenz nicht als das Ende zu sehen, sondern als den Beginn eines neuen Kapitels. Dieses Kapitel mag mit Herausforderungen gefüllt sein, aber es birgt auch Chancen. Chancen, uns selbst als pflegende Angehörige, Freunde oder Betreuer neu zu entdecken. Chancen, unsere Vorstellung von Menschlichkeit zu erweitern und zu erkennen, dass jeder Mensch, egal in welchem Zustand, die gleiche Würde verdient.

Es ist eine Reise, die uns Geduld lehrt. Die Geduld, zuzuhören, auch wenn die Worte durcheinander geraten. Die Geduld, zu verstehen, dass hinter dem Schweigen vielleicht ein Gefühl steckt, das tiefer ist als Worte es je ausdrücken könnten.

Ein Raum für Hoffnung und Liebe

Demenz bedeutet Veränderung, ja. Aber es bedeutet nicht, dass Liebe und Zuneigung verschwinden. Diese Gefühle sind oft intensiver, weil sie die Sprache der Gegenwart sprechen. Sie sind nicht an Erinnerungen gebunden, sondern an den Moment, an das Hier und Jetzt.

Kitwood zeigt uns, dass Menschen mit Demenz auch uns etwas lehren können: nämlich im Augenblick zu leben. Während wir uns oft in Gedanken an die Zukunft oder die Vergangenheit verlieren, sind Menschen mit Demenz oft ganz bei uns – im Moment. Und genau da liegt eine unglaubliche Kraft.



Fazit: Mit Liebe und Respekt begegnen

Die größte Lektion, die wir aus Kitwoods Arbeit ziehen können, ist vielleicht diese: Demenz mag das Gedächtnis verändern, aber sie ändert nicht den Wert eines Menschen. Es ist unsere Aufgabe, diesen Wert zu erkennen, zu respektieren und zu ehren.

Wenn wir einem Menschen mit Demenz begegnen, sollten wir nicht fragen: „Was hat er verloren?“ sondern „Was bleibt?“ Denn was bleibt, ist die Fähigkeit zu lieben, zu fühlen und Beziehungen zu schätzen. Und in diesen Beziehungen liegt der wahre Wert eines Lebens – unabhängig davon, wie viele Erinnerungen es umfasst.

Die Brille, durch die wir Demenz betrachten, kann eine sein, die das Leben und die Menschlichkeit in den Vordergrund stellt. Kitwood zeigt uns, dass diese Brille nicht nur klarer, sondern auch liebevoller ist.

 

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