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Demenzdiagnostik – Mehr als nur ein Test

  • leyroutz
  • vor 6 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

Wenn ein Mensch beginnt, sich zu verändern – vergesslicher wird, die Orientierung verliert oder sich im Verhalten wandelt – ist das für alle Beteiligten beunruhigend. Die Frage steht im Raum: Ist das schon Demenz? Doch bevor vorschnell geurteilt wird, braucht es etwas, das in der heutigen Zeit selten geworden ist: Zeit, Zuhören und eine sorgfältige Diagnostik.


Warum eine Diagnose wichtig ist

Viele Menschen scheuen sich vor dem Begriff Demenz. Sie fürchten, ein Testergebnis könne wie ein Urteil wirken. Tatsächlich aber bedeutet eine gute Diagnostik das Gegenteil: Sie bringt Klarheit – nicht, um zu stigmatisieren, sondern um zu verstehen, was wirklich los ist. Denn: Nicht jede Vergesslichkeit ist eine Demenz.Und nicht jedes auffällige Verhalten hat eine hirnorganische Ursache.

Eine präzise Diagnostik eröffnet die Möglichkeit, gezielt zu helfen – medizinisch, psychologisch und sozial. Sie ist die Grundlage dafür, dass Angehörige entlastet, Betroffene unterstützt und therapeutische Wege rechtzeitig eingeschlagen werden können.


Wie eine Demenzdiagnostik abläuft

Eine umfassende Diagnostik ist mehrstufig und umfasst mehrere Perspektiven:

  1. Das ärztlich-psychologische Gespräch – mit Betroffenen und Angehörigen

    Am Beginn steht eine ausführliche Anamnese. Sie ist das Herzstück jeder Diagnostik. Hier wird gemeinsam erhoben, seit wann und in welchen Situationen Veränderungen auftreten, wie sie sich äußern und ob es belastende Lebensereignisse, körperliche Erkrankungen oder Medikamente gibt, die eine Rolle spielen könnten.


    Besonders wichtig: Das Gespräch mit den Angehörigen.Sie erleben den Alltag, beobachten Entwicklungen über längere Zeit und können wertvolle Hinweise geben – etwa, ob die Schwierigkeiten allmählich zunehmen oder nur in bestimmten Situationen auftreten. Oft sind es gerade diese Beobachtungen, die den entscheidenden Hinweis auf den Charakter der Veränderung geben.


  2. Psychologische Testverfahren

    Eine Demenzdiagnose allein auf Basis des MMSE ist unseriös. Der MMSE ist ein Screening-Instrument, das lediglich erste Hinweise gibt – nicht mehr und nicht weniger. Ein zu niedriger Wert kann durch viele Faktoren beeinflusst werden: Delir, Depression, Angst, Erschöpfung, Schmerzen oder ein akuter Infekt.

    Ebenso problematisch ist das Gegenteil: Ein hoher MMSE schließt eine kognitive Beeinträchtigung nicht aus. Gerade ein beginnendes Mild Cognitive Impairment (MCI) – also eine leichte kognitive Störung – wird vom MMSE häufig übersehen.

    Solche subtilen Veränderungen lassen sich nur mit spezialisierten neuropsychologischen Verfahren erkennen, die gezielt einzelne Gedächtnisfunktionen, Exekutivfunktionen oder sprachliche Leistungen prüfen.

    Eine fachgerechte Testdiagnostik geht daher immer über den MMSE hinaus und bezieht Ergebnisse in den Gesamtzusammenhang von Alltag, Verhalten und Anamnese ein.

  3.  Körperliche und bildgebende Untersuchungen, Laboruntersuchungen, MRT oder CT dienen dazu, andere Ursachen (z. B. Vitaminmangel, Durchblutungsstörungen, Depression, Schilddrüsenfunktionsstörungen) auszuschließen.


  4. Beobachtung und GesprächKein Test ersetzt das, was man im direkten Kontakt erlebt: den Ausdruck, den Blick, die Art zu erzählen, die feinen Zwischentöne.Eine erfahrene Diagnostikerin oder ein Diagnostiker erkennt, ob hinter den Symptomen eher Angst, Erschöpfung oder ein neurodegenerativer Prozess steckt.


Keine „Nebenbei-Diagnose“ im Krankenhaus

Gerade bei älteren Patientinnen und Patienten kommt es häufig vor, dass während eines Krankenhausaufenthalts plötzlich der Verdacht auf Demenz geäußert wird – oft im Rahmen eines kurzen Assessments oder aufgrund von auffälligem Verhalten auf der Station. Doch: Eine solche „Nebenbei-Diagnose“ ist nicht seriös.

Krankenhausaufenthalte bedeuten für ältere Menschen enormen Stress. Ungewohnte Umgebung, Schlafmangel, Medikamente, Infektionen oder Flüssigkeitsmangel können zu akuten Verwirrtheitszuständen (Delir) führen, die vorübergehend sind und mit einer Demenz nichts zu tun haben.


Darum gilt:

Eine Demenzdiagnose sollte niemals im Rahmen eines akuten Krankenhausaufenthalts gestellt werden, sondern in einer ruhigen, stabilen Phase – idealerweise im ambulanten oder häuslichen Setting, mit ausreichend Zeit für Gespräch, Testung und Verlaufseinschätzung.

Nur so lässt sich unterscheiden, ob es sich um eine beginnende Demenz, eine depressive Pseudodemenz oder ein Delirhandelt.


Demenz ist keine Momentaufnahme

Eine Diagnostik ist immer ein Prozess – kein einzelner Termin.Manchmal braucht es mehrere Gespräche, Beobachtungen oder sogar eine Verlaufskontrolle, um zu sehen, ob und wie sich die Symptome entwickeln. Eine seriöse Diagnostik bedeutet daher auch: keine schnellen Etiketten, sondern ein respektvoller Blick auf den Menschen.


Was Angehörige wissen sollten

Für Angehörige ist die Zeit vor und während der Diagnostik oft emotional schwierig. Zwischen Hoffnung und Sorge, zwischen „vielleicht ist es nur Stress“ und „was, wenn es doch Demenz ist?“ bewegen sich viele. Hier hilft es, sich bewusst zu machen: Eine Diagnose kann Entlastung bringen – weil sie Orientierung schafft und Möglichkeiten eröffnet, mit der Situation umzugehen.Je früher man versteht, was los ist, desto besser kann man planen, unterstützen und sich selbst schützen.


Fazit: Diagnostik als Türöffner – nicht als Urteil

Eine gute Demenzdiagnostik ist wie das Aufhellen eines unscharfen Bildes:Plötzlich erkennt man wieder Konturen, kann unterscheiden, was Teil des Alterns ist – und was nicht.Sie eröffnet nicht nur medizinische, sondern auch menschliche Wege: Wege des Verstehens, der Begleitung und der Würde.


„Demenzdiagnostik heißt: Wir sehen genau hin, bevor wir urteilen.“Christine Leyroutz, Klinische Psychologin & Demenzexpertin


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