In der Bevölkerung herrscht oft Angst vor Aggressionen bei demenzkranken Menschen, da solche Verhaltensweisen als unvorhersehbar und bedrohlich empfunden werden. Diese Ängste entstehen häufig durch mangelndes Verständnis für die Ursachen der Aggression, die meist Ausdruck von Verwirrung oder Überforderung bei Betroffenen sind. Diese Aggression sind weniger ein Charakterzug des Erkrankten, sondern eher eine Reaktion auf unbefriedigte psychologische Bedürfnisse. Eine einfühlsame, beziehungsorientierte Betreuung kann helfen diese Ängste zu mildern.
Es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen mit Demenz „aggressives“ Verhalten zeigen können, die oft mit dem Krankheitsverlauf und den Umgebungsbedingungen zusammenhängen:
· Missverständnisse und Kommunikationsprobleme: Menschen mit Demenz können Schwierigkeiten haben, ihre Bedürfnisse oder Frustrationen auszudrücken, was zu Verwirrung und Unruhe führt. Diese Unsicherheit kann dann in aggressivem Verhalten münden.
· Überforderung und Angst: Ungewohnte oder überfordernde Situationen können Ängste hervorrufen, die als Aggression nach außen getragen werden. Dies betrifft insbesondere Menschen, die nicht mehr verstehen, was um sie herum passiert.
· Schmerzen oder körperliche Beschwerden: Unausgesprochene Schmerzen oder Unbehagen können ein Grund für aggressives Verhalten sein. Da viele Menschen mit Demenz nicht mehr in der Lage sind, Schmerz klar zu benennen, reagieren sie mit Unruhe oder Aggressivität.
· Verändertes Umfeld: Veränderungen im Alltag, wie ein Umzug oder wechselndes Pflegepersonal, können Stress verursachen und aggressives Verhalten begünstigen.
Verändern wir doch unseren Blickwinkel und nennen das „fordernde“ Verhalten bei Demenz In Zukunft „selbstschützendes Verhalten“ Zitat: Inhaltsverzeichnis aus Tschainer-Zangl, Demenz ohne Stress, ISBN 978-3-7799-3903-0
© 2019 Beltz Juventa in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-7799-
Viele dieser fordernden Reaktionen lassen sich als Versuche des Selbstschutzes verstehen. Da Menschen mit Demenz zunehmend Schwierigkeiten haben, ihre Umwelt zu verstehen und mit ihr zu interagieren, sind sie besonders anfällig für Stress. Infolge des kognitiven Verfalls neigen sie dazu, auf instinktive Verhaltensmuster zurückzugreifen, die sich evolutionär bewährt haben, auch wenn die Bedrohungen subjektiv oder missverstanden sind. Ein wiederkehrendes Merkmal ist dabei die Wahrnehmung einer Gefahr, selbst wenn objektiv keine vorliegt. Diese Wahrnehmung führt zu Reaktionen, die den Versuch darstellen, Kontrolle und Sicherheit zu erlangen.
Die Konzepte “Kampf, Totstellen und Flucht” stammen aus der Stressforschung und beschreiben grundlegende, evolutionär bedingte Reaktionen des menschlichen Körpers auf bedrohliche Situationen (auch bekannt als „Fight, Flight or Freeze“-Reaktionen). Bei Menschen mit Demenz können ähnliche Verhaltensweisen auftreten, allerdings auf eine veränderte, oft unbewusste und nicht mehr bewusst steuerbare Weise. Diese Reaktionen können als selbstschützendes Verhalten interpretiert werden, da Menschen mit Demenz oft auf Stresssituationen reagieren, die sie nicht mehr vollständig verstehen oder bewältigen können.
1. Kampf (Fight):
Menschen mit Demenz können in stressigen oder verwirrenden Situationen aggressiv reagieren, verbal oder körperlich. Dies geschieht oft, wenn sie sich bedroht, verängstigt oder hilflos fühlen. Ein Verlust des Verständnisses der Umwelt oder eine Fehleinschätzung einer Situation kann Aggressionen auslösen, die ein Ausdruck des Versuches sind, Kontrolle oder Sicherheit zurückzugewinnen.
2. Totstellen (Freeze):
Totstellen bedeutet, dass eine Person passiv wird oder sich zurückzieht, wenn sie mit einer überwältigenden oder unverständlichen Situation konfrontiert wird. Bei Menschen mit Demenz äußert sich dies oft als Rückzug in sich selbst oder als Verhaltenshemmung, wie etwa starres Sitzen oder Starren ins Leere. Dies kann als Schutzmechanismus gegen Überforderung oder Überstimulation gesehen werden.
3. Flucht (Flight):
Fluchtreaktionen treten häufig auf, wenn Menschen mit Demenz sich in einer Situation überfordert fühlen. Sie könnten versuchen, wegzulaufen oder sich aus einer als bedrohlich empfundenen Situation zu entfernen. Dieses Verhalten ist häufig bei Demenzkranken zu beobachten, die sich verirren oder ziellos umherwandern.
Bedeutung für die Pflege und Betreuung
Für Pflegende und Betreuungskräfte ist es entscheidend, diese Verhaltensweisen nicht als bloße „Probleme“ zu betrachten, sondern als Ausdruck eines zugrunde liegenden, selbstschützenden Mechanismus. Ein sensibler Umgang mit solchen Reaktionen kann dazu beitragen, das Wohlbefinden der betroffenen Personen zu erhöhen, indem sie beruhigt, entlastet und in einer für sie verständlicheren Umgebung unterstützt werden. Ein behutsames Eingehen auf die individuellen Bedürfnisse und die Schaffung einer stressarmen Umgebung können dazu beitragen, diese Reaktionen zu minimieren.
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