Schweigen als generationsuebergreifendes Erbe
- leyroutz
- vor 3 Tagen
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„Wir haben nie über Gefühle gesprochen“
In vielen Familien wurden Gefühle jahrzehntelang nicht ausgesprochen – nicht, weil sie fehlten, sondern weil niemand gelernt hatte, darüber zu sprechen. Schmerz, Sehnsucht, Wut und Trauer wurden weggeschwiegen, überdeckt von Pflichtgefühl, Arbeitsalltag und der Vorstellung, dass Emotionen Schwäche bedeuten.
Wenn ein Elternteil an Demenz erkrankt, fällt plötzlich die gewohnte Sprache weg. Worte verschwinden – aber Gefühle werden sichtbarer. In der Schweigsamkeit des Erkrankten liegt manchmal eine verstärkte Resonanz dessen, was über Jahrzehnte unausgesprochen blieb.
Was dieses Schweigen bewirken kann:
Kinder, die nie gelernt haben, über ihre Gefühle zu sprechen, übernehmen die Schweigsamkeit unbewusst weiter.
Konflikte bleiben ungelöst, weil sie nie ausgesprochen wurden.
Nähe entsteht nicht durch Worte, sondern durch Funktionieren – was irgendwann nicht mehr reicht.
Wie Demenz das Schweigen aufbricht:
Der Verlust der verbalen Kommunikation macht nonverbale Zeichen bedeutsamer: Blicke, Gesten, Körperhaltung.
Angehörige merken, dass sie plötzlich Dinge aussprechen wollen – oder müssen –, weil das Gegenüber sie nicht mehr bestätigen kann.
Das Bedürfnis nach Verbindung wird größer – und durchbricht alte Muster.
Impulse zur Veränderung:
Sich selbst Fragen stellen: Was durfte bei uns nie gesagt werden? Was habe ich vermisst?
Neue Gespräche wagen: Auch mit demenziell Erkrankten sind emotionale Gespräche möglich – durch Berührung, Nähe, Präsenz.
Mit anderen ins Gespräch kommen: Wenn Eltern nicht mehr ansprechbar sind, können Geschwister, Partner:innen oder Freunde emotionale Zeugen sein.
Abschließender Impuls:
Das generationsübergreifende Schweigen ist kein Schicksal. Inmitten der Sprachlosigkeit kann neues Sprechen entstehen – ehrlich, tastend, lebendig. Und manchmal genügt ein einziger Satz, um eine neue Geschichte zu beginnen.

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