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Tag 106: Achtsame Beduerfniserkennung – Der Schluessel zur einfuehlsamen Demenzbegleitung

  • leyroutz
  • vor 1 Tag
  • 3 Min. Lesezeit

Als Gerontopsychologin erlebe ich immer wieder, wie herausfordernd es sein kann, die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz zu erkennen. Wenn die Sprache schwindet, wenn Wünsche nicht mehr klar formuliert werden können, braucht es besondere Achtsamkeit und eine feine Wahrnehmung. Heute möchte ich mit Ihnen darüber sprechen, wie Sie diese Achtsamkeit kultivieren können.


Das Konzept der Bedürfnisachtsamkeit in der Demenzbegleitung

Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen, ohne zu urteilen. In der Begleitung von Menschen mit Demenz umfasst dies die Fähigkeit, feine Signale zu erkennen, die auf Bedürfnisse hindeuten – sei es Hunger, Durst, Schmerz, Langeweile oder das Verlangen nach menschlicher Nähe.

Die Herausforderung besteht darin, dass diese Signale oft nicht mehr in konventioneller Form ausgedrückt werden. Unruhe kann Schmerz bedeuten, Aggressivität vielleicht Angst, wiederholtes Rufen möglicherweise das Bedürfnis nach Sicherheit.


Praktische Ansätze für gesteigerte Bedürfnisachtsamkeit

1. Der Körperscanner-Ansatz Nehmen Sie sich mehrmals täglich einen Moment Zeit, um den körperlichen Zustand Ihres Angehörigen systematisch zu beobachten: Gibt es Anzeichen von Unbehagen? Wie ist die Körperhaltung? Sind Anspannungen erkennbar? Diese regelmäßigen "Scans" schärfen Ihre Wahrnehmung für feine Veränderungen.

2. Das emotionale Tracking Führen Sie ein kleines Tagebuch, in dem Sie Stimmungsschwankungen Ihres Angehörigen notieren, zusammen mit möglichen Auslösern. Nach einigen Wochen können Muster erkennbar werden, die Ihnen helfen, präventiv zu handeln.

3. Die Umgebungsanalyse Manchmal reagieren Menschen mit Demenz sensitiv auf Umgebungsfaktoren, die wir kaum wahrnehmen: zu grelles Licht, Hintergrundgeräusche oder Zugluft. Eine achtsame Beobachtung der Reaktionen auf verschiedene Umgebungen kann wichtige Hinweise liefern.

4. Die Validations-Pause Wenn Ihr Angehöriger ein Verhalten zeigt, das Sie nicht sofort verstehen: Halten Sie inne. Atmen Sie bewusst. Fragen Sie sich: "Was könnte mein Angehöriger gerade fühlen oder brauchen?" Diese kurze Reflexionspause kann den Unterschied zwischen einer reaktiven und einer einfühlsamen Antwort ausmachen.


Aus der Forschung: Der Zusammenhang zwischen erfüllten Bedürfnissen und reduziertem herausforderndem Verhalten

Studiendaten belegen eindeutig: Wenn die grundlegenden psychosozialen Bedürfnisse nach Bindung, Einbeziehung, Identität, Beschäftigung und Trost (nach Tom Kitwood) erfüllt werden, reduzieren sich sogenannte "herausfordernde Verhaltensweisen" signifikant. Anders ausgedrückt: Was wir oft als "schwieriges Verhalten" wahrnehmen, ist häufig ein Kommunikationsversuch für unerfüllte Bedürfnisse.


Ein Beispiel aus meiner praktischen Arbeit

Frau Blume betreut ihre Mutter mit fortgeschrittener Demenz. Die Mutter begann, jeden Nachmittag um etwa 16 Uhr unruhig zu werden und wiederholt nach der "Arbeit" zu fragen. Anfangs versuchte Frau Blume ihre Mutter zu korrigieren und zu beruhigen. In unseren Beratungsgesprächen entwickelten wir einen anderen Ansatz:

Frau Blume begann, das Verhalten ihrer Mutter achtsam zu beobachten und erkannte, dass die Unruhe möglicherweise mit dem früheren Tagesrhythmus ihrer Mutter zusammenhing, die als Lehrerin um diese Zeit gewohnt war, Schulhefte zu korrigieren. Sie stellte ihrer Mutter nun jeden Nachmittag einen kleinen Korb mit Papieren und farbigen Stiften hin und sagte: "Hier ist etwas für dich zum Durchsehen." Die Unruhe reduzierte sich deutlich, als die Mutter wieder eine sinnvolle, an ihre Biografie anknüpfende Tätigkeit hatte.


Meine Empfehlung für heute: Nehmen Sie sich vor, heute drei bewusste "Bedürfnis-Pausen" einzulegen – Momente, in denen Sie innehalten und alle Ihre Sinne auf die Wahrnehmung Ihres Angehörigen richten. Beobachten Sie ohne sofortige Intervention: Wie sitzt er/sie? Welcher Gesichtsausdruck ist erkennbar? Gibt es Anzeichen von Unbehagen oder Wohlbefinden? Notieren Sie Ihre Beobachtungen kurz.

Denken Sie immer daran: Achtsamkeit für die Bedürfnisse Ihres Angehörigen ist keine zusätzliche Aufgabe auf Ihrer ohnehin langen To-Do-Liste. Sie ist vielmehr eine Haltung, die Ihnen langfristig Zeit und Kraft sparen kann, weil Sie präventiv handeln und Eskalationen vermeiden können.


 
 
 

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© 2021 Christine Leyroutz - Alle Fotos von Fotografie_Lebzelt

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