Tag 108: Danke, dass du da bist: Die Rolle der Angehoerigen
- leyroutz
- vor 1 Stunde
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Als Gerontopsychologin und Demenzexpertin erlebe ich täglich die stille Revolution der Nächstenliebe, die in den Wohnzimmern unserer Nation stattfindet. Angehörige von Menschen mit Demenz leisten Unglaubliches – oft unbemerkt, selten gewürdigt und fast immer rund um die Uhr.
Der unsichtbare Marathon
Die Begleitung eines an Demenz erkrankten Menschen gleicht einem Marathon ohne definierte Ziellinie. Es ist ein Weg voller unerwarteter Wendungen, auf dem sich die Spielregeln ständig ändern. Was gestern noch funktionierte, kann heute völlig wirkungslos sein.
Angehörige werden über Nacht zu Experten für eine Erkrankung, die selbst für uns Fachleute voller Rätsel steckt. Sie entwickeln eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe und lernen, kleinste Veränderungen zu erkennen. Sie werden zu Übersetzern einer neuen Sprache, die niemand lernen wollte.
Zwischen Liebe und Erschöpfung
Die emotionale Doppelbelastung ist enorm: Einerseits die tiefe Zuneigung zum erkrankten Menschen, andererseits der Schmerz, zusehen zu müssen, wie vertraute Persönlichkeitszüge verblassen. Viele Angehörige berichten mir von dem Gefühl, einen geliebten Menschen zweimal zu verlieren – erst geistig, dann körperlich.
Besonders herausfordernd: Die Krankheit nimmt den Betroffenen nach und nach die Fähigkeit, Dankbarkeit auszudrücken. Die emotionale Resonanz, die zwischenmenschliche Beziehungen normalerweise nährt, bleibt zunehmend aus.
Was die Wissenschaft uns lehrt
Die Forschung zeigt eindeutig: Pflegende Angehörige haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Depression, Angststörungen und körperliche Erkrankungen. Gleichzeitig wissen wir, dass Menschen mit Demenz von stabilen, vertrauten Beziehungen erheblich profitieren. Ihre Lebensqualität steigt, Verhaltensauffälligkeiten nehmen ab.
Als Gesellschaft stehen wir vor der Herausforderung, diesen Widerspruch aufzulösen: Wie können wir die unschätzbare Ressource "pflegende Angehörige" schützen und gleichzeitig die bestmögliche Versorgung für Menschen mit Demenz sicherstellen?
Was wirklich hilft – praktische Einsichten
Nach jahrelanger Arbeit mit betroffenen Familien kann ich sagen: Es gibt keine Universallösung, aber einige grundlegende Prinzipien:
Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit. Nur wer für sich selbst sorgt, kann langfristig für andere da sein.
Entlastungsangebote frühzeitig nutzen – nicht erst, wenn die Kräfte bereits erschöpft sind.
Den Mut haben, um Hilfe zu bitten und diese anzunehmen.
Mit der erkrankten Person in Verbindung bleiben, auch wenn die gewohnten Kommunikationswege versperrt sind. Oft funktionieren non-verbale Zugänge über Musik, Berührung oder gemeinsames Schweigen.
Die kleinen Momente des Glücks bewusst wahrnehmen und als Kraftquelle nutzen.
Als Fachperson möchte ich allen Angehörigen von Menschen mit Demenz sagen: Ihr leistet Außergewöhnliches. Ihr seid die wahren Experten für eure Liebsten. Euer Wissen, eure Geduld und eure Beharrlichkeit verdienen höchsten Respekt.
Die Herausforderungen, denen ihr täglich begegnet, sind immens – und dennoch steht ihr Tag für Tag auf und seid da. Diese Beständigkeit, dieses bedingungslose Da-Sein, ist vielleicht das wertvollste Geschenk, das ein Mensch einem anderen machen kann.
Dafür möchte ich heute stellvertrendend von Herzen Danke sagen.

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