Tag 117: Die Vaskulaere Demenz
- leyroutz
- vor 12 Minuten
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Einatmen, ausatmen – eine andere Art der Demenz
Vielleicht spüren Sie es zuerst beim gemeinsamen Spaziergang: Ihr Vater wirkt ungewohnt langsam, verliert den Faden, stolpert gedanklich – nicht wegen vergessener Namen, sondern weil der ganze Denk-Fluss zäher geworden ist. Vaskuläre Demenz, besonders die Form subkortikalen Vaskulären Demenz (SVD), fühlt sich oft an wie ein Flussbett voller kleiner Steinchen: Jeder Mini-Infarkt, jede Mikroblutung staut den gedanklichen Strom ein bisschen mehr.
Das ist anders als beim Alzheimer-typischen „Loch“ im Gedächtnis. SVD-Demenzen zeigen eher Verlangsamung, Planungs- & Gangprobleme, Stimmungsschwankungen – und sie verlaufen gern stufenweise: ein Schlaganfall-Ereignis, dann scheinbar Stabilität, dann der nächste Einbruch. Dieser Rhythmus macht den Alltag für Angehörige so unvorhersehbar.
2. Was im Gehirn passiert – Fachlich auf den Punkt
Gefäßengstelle im Kleinen: Winzige Arteriolen verengen sich durch Bluthochdruck, Diabetes, Cholesterin & Co. Es entstehen Lacunen, white-matter-Hyperintensitäten und Mikroblutungen.
Keine Einbahnstraße: Jede Gefäßkrise kann neue Defizite auslösen – Konzentration heute, Gang morgen.
Bildgebung entscheidet: Ein MRT mit T2-Sequenzen zeigt das typische „Sternenfeld“ der weißen Substanz.
Therapie ist Gefäß-Management: Blutdruck, und Bewegung
3. Symptome, die Sie kennen sollten
Frühe Warnzeichen | Typische Alltagsfolgen |
• Langsame Informationsverarbeitung • „Executive Fog“ (Planen, Multitasking schwer) | • Kochen wird zur Baustelle, weil Schritte vergessen werden. • Unentschiedenheit beim Einkaufen („Was wollte ich noch…?“) |
• Gangunsicherheit, | • Mehr Stürze; Gehhilfe früh überlegen. |
• Stimmung: Reizbarkeit oder Apathie | • „Er/sie will nichts mehr“ – oft Missbrauch von „Faulheit“ statt Symptom. |
• Blasendrang, besonders nachts | • Schlafunterbrechungen → Tagesmüdigkeit für beide. |
4. Ihr Werkzeugkoffer als Angehörige
Medizin mitmanagen
Blutdruckgerät zuhause: ein Morgen- und ein Abendwert geben Sicherheit.
Medikamentenbox mit Alarm; SVD verzeiht keine vergessene Tablette.
Tagesstruktur entschleunigen
30-30-30-Regel: 30 Min. Aktivität (Spaziergang), 30 Min. kognitive Anregung (Puzzle, Leserätsel), 30 Min. aktive Pause (Entspannungsmusik)
Wortlos führen
Bei Verlangsamung hilft Rhythmus: „Wir ziehen erst den Mantel eins-zwei, dann Schuhe eins-zwei.“
Kurze Sätze, eindeutige Handlungsschritte.
Bewegung als Medizin
Dreimal pro Woche 20 Min. flott gehen senkt das Progressionsrisiko laut aktuellen SVD-Daten.
Sturz- und Gefäß-Doppelstrategie
Physiotherapie + Sturzmatten = weniger Angst.
Jede Aktivierung ist zugleich Gefäßtraining.
5. Selbstfürsorge – Sie sind keine Zuschauer: Sie sind das zweite Herz-Kreislauf-System
SVD-Verläufe dauern Jahre. Pflegende erschöpfen sich oft früher als die Patient*innen. Bauen Sie „Verschnaufinseln“:
Mikro-Auszeiten: Fünf tiefe Atemzüge am Fenster, wenn der Blutdruck gemessen ist.
Betreuungs-Brücken: Tagespflege oder Nachbarschaftshilfe für den wöchentlichen Kaffee mit Freund*innen.
Gefühlscheck: Notieren Sie einmal pro Woche drei Emotionen – ein Mini-Logbuch gegen das stille Verbrennen.
6. Hoffnung & Realität: Zwei Seiten einer Münze
Ja, SVD ist nicht heilbar – aber: Jede kontrollierte Risikofaktor-Minute, jeder sichere Schritt verzögert neues Hirnareal-Schweigen. Unser Ziel ist nicht Perfektion, sondern Lebensqualität in kleinen Portionen: die Freude an einer Fotoserie, das sichere Gefühl beim gemeinsamen Abendbrot, der Stolz nach zwei Treppenabsätzen ohne Pause.
Halten Sie sich an das alte Pflege-Mantra:
„Wir können die Krankheit nicht stoppen, aber wir können ihren Takt verlangsamen und die Musik dazwischen hörbar machen.“
7. Zum Mitnehmen
SVD-Demenz ≠ Alzheimer: Denken Sie an Verlangsamung & Gang – nicht nur an Vergessen.
Gefäßpflege ist Hirnpflege: Blutdruck, Zucker, Fette sind Ihre wichtigsten „Medikamente“.
Klare Routinen + Bewegung + Pausen = Dreiklang für Betroffene und Angehörige.
Sie sind Teil des Teams: Fragen Sie Ärzteschaft nach Reha, Pflegstufe, Kurzzeitpflege.
Erlauben Sie sich Trauer UND Freude – beides sind natürliche Reaktionen auf ein Leben mit vaskulärer Demenz.
Bleiben Sie mutig, achten Sie auf Ihre eigene Durchblutung von Körper und Seele – denn ein warmes Herz schlägt gegen die Kälte kleiner Gefäße an.
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