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Tag 132: Die Kunst des Loslassens: Wie Angehoerige lernen, sich von der Pflege zu distanzieren, ohne das Band der Liebe zu verlieren

  • leyroutz
  • 11. Juni
  • 3 Min. Lesezeit

Die Pflege eines demenzkranken Angehörigen erfordert viel Hingabe und Aufmerksamkeit. Doch mit der Zeit kann die Belastung erdrückend werden, besonders wenn die Pflege eine Vollzeitaufgabe wird. Die Kunst des Loslassens ist für viele Angehörige eine der schwierigsten Herausforderungen. Es geht darum, die Kontrolle zu einem gewissen Grad abzugeben und zu akzeptieren, dass nicht alles in der eigenen Macht liegt.


Psychologische Theorien wie das Modell der „psychologischen Flexibilität“ (nach Hayes) unterstreichen, wie wichtig es ist, sich von unrealistischen Erwartungen und dem Drang zur vollständigen Kontrolle zu befreien. Das Loslassen bedeutet nicht, den geliebten Menschen aufzugeben, sondern vielmehr, eine gesunde Distanz zu wahren, um sich selbst nicht zu verlieren. In der Praxis bedeutet dies, Unterstützung von außen zu suchen, Verantwortung zu teilen und auch Raum für persönliche Erholung zu schaffen.


Loslassen ohne Aufgeben – ein praxisnaher Lernpfad für pflegende Angehörige

Leitsatz: Sich selbst gut zu kümmern ist kein Luxus, sondern die Voraussetzung, dauerhaft für andere da zu sein.

1 | Verstehen, was „Loslassen“ wirklich bedeutet

Was viele glauben

Was psychologische Flexibilität sagt (ACT-Modell)

„Ich darf keine negativen Gefühle haben, sonst enttäusche ich meinen Angehörigen.“

Gefühls-Akzeptanz entlastet: Wer eigene Angst oder Ärger bewusst wahrnimmt, vermeidet Erschöpfung. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

„Nur wenn ich alles selbst mache, ist die Pflege gut.“

Rollen abgeben ≠ Liebe aufgeben – ACT-Studien zeigen, dass mehr Flexibilität die Lebensqualität beider Seiten steigert. frontiersin.org

Kernkompetenzen (nach Hayes):

  1. Akzeptanz

  2. Defusion (Abstand zu belastenden Gedanken)

  3. Kontakt mit dem Hier-und-Jetzt

  4. Selbst-als-Kontext (ich ≠ meine Rollen)

  5. Werteklärung

  6. Verbindliche, kleine Handlungsschritte


Alltagsübung (2 Min.)Setzen Sie sich hin, spüren Sie die Fersen.Sagen Sie innerlich: „Ich bin mehr als meine Gedanken.“Benennen Sie leise eine aktuelle Sorge und fügen Sie an: „…und ich atme weiter.“

2 | Gesunde Grenzen in vier Schritten (CLEAR-Methode)

Schritt

Leitfrage

Beispiel-Satz

C – Check

Was fühle ich gerade körperlich?

„Mein Rücken spannt, ich brauche eine Pause.“

L – List

Welche Aufgaben will / muss ich wirklich selbst tun?

„Insulin spritzen: ja. Wäsche: kann abgegeben werden.“

E – Entrust

Wem kann ich konkret etwas übergeben?

„Dienst ‘Mobile Pflege Caritas’ kümmert sich um das Duschen am Donnerstag.“

A – Announce

Wie formuliere ich das wertschätzend?

„Papa, morgen kommt Frau Huber. So habe ich Kraft für unseren Spaziergang.“

R – Review

Was lief gut? Was spüre ich jetzt?

Kurzes Tagebuch nach der Übergabe.


3 | Regeneration verbindlich einplanen

Zeithorizont

Konkrete Idee

Warum wirksam

Täglich (5 min)

Atem-Check + kurzer Spaziergang ums Haus

Unterbricht Stress­kreis, senkt Puls

Wöchentlich (2–3 h)

Lieblingshobby ohne Pflegeunterbrechung – während Kurzbesuchsbetreuung

ACT-Prinzip „Werte leben“

Vierteljährlich (2–7 Tage)

Kurzzeitpflege / Urlaubspflege buchen

Nachweislich geringere Depressionswerte bei Angehörigen demenz-portal.at


Selbstfürsorge-VertragSchreiben Sie auf einer Postkarte: „Ich erlaube mir, Hilfe anzunehmen, weil meine Gesundheit ebenso wertvoll ist wie deine.“ Hängen Sie sie sichtbar auf.

4 | Wenn Schuld- oder Kontrollgedanken auftauchen

  • Defusion-Technik: Stellen Sie sich den Gedanken als Radiosprecher vor, der langweilig monotone Nachrichten verliest. Leiser drehen.

  • Mitgefühls-Pause (Hand-aufs-Herz): Drei Atemzüge, innerlich: „Auch andere pflegende Angehörige kämpfen gerade – ich bin nicht allein.“

  • Notfall-Telefon: Wenn Erschöpfung kippt → Rat auf Draht (142)


    Fahrplan zum Dranbleiben

    1. Heute: CLEAR-Tabelle ausfüllen, ein Mikro-Break festlegen.

    2. Innerhalb 7 Tagen: Einen Entlastungsdienst telefonisch anfragen.

    3. Alle 3 Monate: Grenzen-Reflexion mit einer Vertrauensperson; Ziel: mindestens 1 Tag komplette Pflegevertretung.


    Abschließender Impuls

    Loslassen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck einer reifen, flexiblen Liebe. Je klarer Sie Ihre eigenen Grenzen schützen, desto verlässlicher bleiben Sie die vertraute Konstante im Leben Ihres demenzkranken Angehörigen – heute, morgen und langfristig.


 
 
 

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© 2021 Christine Leyroutz - Alle Fotos von Fotografie_Lebzelt

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