Tag 133: Die verlorene Kunst des Zuhoerens: Warum Demenzkranke die wahren Lehrer fuer uns sind
- leyroutz
- vor 4 Tagen
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Aktualisiert: vor 3 Tagen
In einer Gesellschaft, die oft auf Leistung und produktive Kommunikation ausgerichtet ist, wird das stille Zuhören häufig übersehen. Doch in der Pflege von Demenzkranken wird das Zuhören zu einer der wichtigsten Fähigkeiten – nicht nur im wörtlichen Sinne, sondern im übertragenen Sinne als eine Form der Aufmerksamkeit und Empathie. Demenzkranke können sich möglicherweise nicht mehr in vollständigen Sätzen ausdrücken, doch ihre Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche können durch nonverbale Kommunikation und subtile Hinweise deutlich werden.
Gerontopsychologische Forschung und Kommunikationstheorien, wie die von Tom Kitwood, unterstreichen, wie wichtig es ist, den demenzkranken Menschen in seiner gegenwärtigen Realität anzuerkennen und ihm zuzuhören. Kitwood betont, dass Menschen mit Demenz weiterhin in der Lage sind, auf emotionaler Ebene zu kommunizieren und dass die Pflege eine Einladung zum Dialog ist – nicht in der Form von Gesprächen, die auf klassischen, rationalen Prinzipien basieren, sondern auf dem Verständnis und dem Mitgefühl für die innere Welt des Betroffenen.
Warum „stilles Zuhören“ so viel mehr ist als Schweigen
Tom Kitwood hat mit seinem Konzept der person-zentrierten Pflege gezeigt, dass Menschen mit Demenz weiterhin dialogfähig sind – nur verlagert sich die Kommunikation stärker auf die emotionale und nonverbale Ebene. Neuere Übersichtsarbeiten betonen, dass dieser Ansatz heute um soziale Beziehungsaspekte erweitert wird, weil Personsein immer auch im Miteinander entsteht. Das heißt für Angehörige: Wer lernen möchte, besser zuzuhören, arbeitet nicht in erster Linie an Gesprächstechniken, sondern an Aufmerksamkeit, Präsenz und Resonanz.
Ein praxisorientierter Lernpfad
Lernschritt | Worum es geht | Konkrete Übungen |
1 – Haltung klären | Eigene Erwartungen loslassen & Realität des Betroffenen anerkennen | - Vor jedem Kontakt drei bewusste Atemzüge; Satz im Kopf: „Ich besuche deine Welt.“ |
2 – Achtsam wahrnehmen | Mikro-Signale von Mimik, Gestik, Körpertonus, Atemrhythmus beobachten | - „10-Sekunden-Check“: still zählen und nur schauen. - Notieren, was Sie sehen, ohne es gleich zu deuten. |
3 – Emotionale Resonanz | Gefühle spiegeln statt Worte korrigieren | - Validationstechniken nach Naomi Feil: Gefühlsaussage in eigenen Worten wiederholen („Du wirkst besorgt …“) |
4 – Dialog ohne Worte | Berührung, Blickkontakt, gemeinsames Schweigen als Antwort nutzen | - Hand anbieten, wenn Blickkontakt entsteht; nicht sprechen, bis der andere zuerst reagiert |
5 – Biografie einbinden | Vertraute Reize aktivieren Erinnerungen & Sicherheit | - „Lebensbuch“ oder Fotokiste bereitstellen; Gegenstand kommentarlos reichen und Reaktion abwarten |
6 – Reflektieren & Feedback holen | Eigene Fortschritte sichtbar machen | - Kurzprotokoll nach jeder Begegnung: Was habe ich wahrgenommen? Wie habe ich reagiert? |
Wo und wie man diese Fähigkeiten vertieft
Mikro-Übung für den Alltag (unter 2 Minuten)
Anhalten – Füße spüren, Schultern locker lassen.
Atmen – Ein- und ausatmen, während Sie bis 4 zählen.
Anwesend sein – Blick weich auf das Gesicht Ihres Angehörigen richten, nichts sagen.
Antwort öffnen – Warten, bis der andere eine Geste, Mimik oder Lautäußerung macht; dann mit leiser Stimme oder einer passenden Geste reagieren.
Täglich zwei- bis dreimal geübt, schult diese Mini-Routine Selbstregulation und die Wahrnehmung feiner Signale.
Warum sich die Mühe lohnt
Studien zeigen, dass aktives, empathisches Zuhören:
Herausforderndes Verhalten reduziert, weil Gefühle früher erkannt werden
Das Wohlbefinden beider Seiten verbessert und Burn-out‐Risiko senkt.
Die erlebte Würde des Betroffenen stärkt und so Kitwoods Prinzip der “Positive Person Work“ erfüllt.
Merksatz: Wenn Worte weniger werden, wird jedes Zeichen bedeutender – und Ihr Zuhören zur Brücke.
Mit konsequentem Üben, reflektierendem Austausch und geeigneten Lernressourcen lässt sich „stilles Zuhören“ tatsächlich lernen wie ein Handwerk – und es verwandelt Pflege in Begegnung.
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