Tag 75: Weniger Reizueberflutung: Die demenzfreundliche Umgebungsgestaltung
- leyroutz
- 9. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Die Umgebung, in der wir leben, beeinflusst maßgeblich unser Wohlbefinden – für Menschen mit Demenz gilt dies in besonderem Maße. Als Gerontopsychologin beobachte ich immer wieder, wie stark die Symptome einer Demenz durch eine ungeeignete Umgebung verstärkt werden können – und wie sehr sie sich durch durchdachte Anpassungen verbessern lassen.
Warum ist Reizüberflutung ein Problem?
Menschen mit Demenz verlieren zunehmend die Fähigkeit, unwichtige von wichtigen Reizen zu unterscheiden. Was für uns ein normaler Alltagssoundtrack ist – das Ticken einer Uhr, das Rauschen der Spülmaschine, das Flackern einer Neonröhre – kann für einen Menschen mit Demenz zu einer überwältigenden Kakophonie werden, die Stress, Verwirrung und in der Folge auch herausforderndes Verhalten auslösen kann.
Praktische Gestaltungsprinzipien für den Alltag
1. Visuelle Reize reduzieren
Vermeiden Sie stark gemusterte Tapeten und Teppiche – sie können als Insekten oder andere beunruhigende Objekte fehlinterpretiert werden.
Sorgen Sie für gleichmäßige, schattenfreie Beleuchtung – Schatten können Ängste auslösen.
Reduzieren Sie Spiegelungen – viele Menschen mit Demenz erkennen sich selbst nicht mehr im Spiegel und erschrecken vor ihrem eigenen Spiegelbild.
Setzen Sie auf Kontraste bei wichtigen Dingen – ein roter Teller auf einem weißen Tischset wird besser wahrgenommen als ein weißer Teller.
Die Tochter einer Patientin berichtete mir einmal, dass ihre Mutter plötzlich nicht mehr auf die Toilette gehen wollte. Als wir den Badezimmerboden untersuchten, entdeckten wir einen schwarz-weiß gemusterten Fliesenboden, den die Mutter als tiefes Loch wahrnahm. Eine einfarbige Badematte löste das Problem sofort.
2. Akustische Reize managen
Reduzieren Sie Hintergrundgeräusche wie Radio oder Fernseher, wenn nicht aktiv zugehört wird.
Verwenden Sie schallabsorbierende Materialien wie Vorhänge und Teppiche.
Planen Sie ruhige Zeiten im Tagesablauf ein – besonders vor Aktivitäten, die Konzentration erfordern.
3. Die richtige Balance zwischen Struktur und Freiheit
Kennzeichnen Sie wichtige Räume mit Bildern und Text (z.B. ein Toilettenschild mit Bild und Wort).
Schaffen Sie einen übersichtlichen, aufgeräumten Wohnraum, aber lassen Sie persönliche, vertraute Gegenstände sichtbar.
Gestalten Sie einen "Erinnerungsbereich" mit Fotos, Gegenständen und Musik aus der Vergangenheit Ihres Angehörigen.
4. Tagesrhythmus berücksichtigen
Nutzen Sie natürliches Licht am Morgen zur Aktivierung des Circadian-Rhythmus.
Dimmen Sie das Licht am Abend und reduzieren Sie Aktivitäten – dies kann das "Sundowning" (erhöhte Unruhe am Abend) verringern.
5. Sichere Bewegungsfreiheit ermöglichen
Gestalten Sie "Wanderwege" in der Wohnung, die sicher sind und zu einem sinnvollen Ziel führen.
Entfernen Sie Stolperfallen wie lose Teppiche oder Verlängerungskabel.
Ein Praxisbeispiel
Herr Blume, ein ehemaliger Buchhalter mit fortgeschrittener Demenz, wurde in seiner Wohnung zunehmend aggressiv und verwirrt. Als wir seine Wohnumgebung analysierten, fanden wir zahlreiche potenzielle Stressfaktoren: ein tickender Wecker neben seinem Bett, eine spiegelnde Glastür zum Wohnzimmer, ein flackerndes Licht in der Küche und eine komplizierte Fernbedienung mit vielen Knöpfen.
Nach einfachen Anpassungen – Entfernung des Weckers, Anbringen eines Vorhangs an der Glastür, Austausch der Lampe und Bereitstellung einer vereinfachten Fernbedienung – verbesserte sich sein Verhalten deutlich. Er wirkte entspannter und konnte sich besser auf Gespräche konzentrieren.
Denken Sie daran: Die Umgebungsgestaltung sollte nicht als einmalige Aktion, sondern als fortlaufender Prozess verstanden werden. Mit dem Fortschreiten der Demenz werden immer wieder Anpassungen nötig sein. Beobachten Sie Ihren Angehörigen genau – oft zeigt sein Verhalten, was in der Umgebung verändert werden sollte.

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