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Wenn Demenz anders aussieht, als man erwartet

  • leyroutz
  • vor 57 Minuten
  • 3 Min. Lesezeit

Der diagnostische Weg bei atypischen Demenz- Verläufen:


Viele Angehörige gehen davon aus, dass Demenz = Alzheimer bedeutet. Tatsächlich ist die Alzheimer-Demenz zwar eine häufige Form, aber längst nicht die einzige. Es gibt Verläufe, die nicht in das klassische Bild passen, ungewöhnlich schnell fortschreiten oder von Anfang an andere Symptome zeigen als Gedächtnisprobleme. Für Betroffene und Angehörige kann das extrem verunsichernd sein – und gerade hier ist eine sorgfältige Diagnostik entscheidend.


Atypische Verläufe zeigen sich in drei Bereichen besonders häufig:

  1. Mischformen verschiedener Demenztypen

  2. Frontotemporale Demenzvarianten

  3. Hirnschädigungen wie hypoxische Enzephalopathien nach Sauerstoffmangel


Warum ist es wichtig, diese Unterschiede zu erkennen? Weil sie den weiteren Verlauf, die therapeutischen Möglichkeiten, das Verhalten der Betroffenen und die Anforderungen an die Pflege maßgeblich beeinflussen.


Wenn es nicht nur Alzheimer ist: Mischformen verstehen

Viele Betroffene weisen nicht nur eine Alzheimer-Erkrankung auf, sondern Kombinationen mit vaskulären Veränderungen, frontotemporalen Mustern oder Lewy-Körper-Prozessen. Diese Mischformen sind häufig, aber schwer zu erkennen. Sie zeichnen sich oft durch ein „ungerades“ klinisches Bild aus:


  • manche Fähigkeiten sind erstaunlich gut erhalten,

  • andere Bereiche brechen plötzlich ein,

  • die Tagesform schwankt stark


In der Diagnostik zeigt sich das häufig durch Diskrepanzen zwischen verschiedenen Testbereichen. Eine Person kann etwa gut erinnern, zeigt aber auffällige Probleme in Planung, Impulskontrolle oder räumlicher Orientierung. Solche Profile weisen auf komplexe Prozesse hin, die über Alzheimer hinausgehen.

Für Angehörige bedeutet das: Die Prognose ist weniger eindeutig, das Verhalten kann schwerer vorhersehbar sein – und eine differenzierte Befundung ist umso wichtiger.


Frontotemporale Varianten: Wenn Verhalten und Persönlichkeit im Vordergrund stehen

Eine frontotemporale Demenz (FTD) wird häufig übersehen. Der Grund: Am Anfang stehen oft keine Gedächtnisstörungen, sondern Veränderungen in

  • Persönlichkeit,

  • Sozialverhalten,

  • Impulskontrolle,

  • Sprache.

Menschen wirken distanziert, reizbarer oder ungewöhnlich enthemmt. Angehörige suchen daher oft nach psychischen Erklärungen – etwa Burnout, Depression oder „Charakterveränderung“.

In der Diagnostik zeigt sich die FTD besonders in den exekutiven Funktionen und im Sprachprofil. Aufgaben wie Kategorien bilden, Handlungsabfolgen planen oder verbale Flüssigkeit bergen zentrale Hinweise.

Eine frühzeitige Abklärung ist hier entscheidend, weil FTD-Verläufe dynamischer sind und oft andere Unterstützungsformen benötigen, speziell im Bereich Verhalten, Struktur und Sicherheit.


Hypoxische Schäden: Wenn Sauerstoffmangel das Gehirn verändert

Ein weiterer atypischer Verlauf entsteht nach medizinischen Ereignissen wie Herzstillstand, Reanimation oder schweren Atemproblemen. Der resultierende Sauerstoffmangel führt zu einer sogenannten hypoxischen Enzephalopathie.

Das klinische Bild ähnelt einer Demenz – aber der Verlauf, die Alltagskompetenzen und die emotionale Regulation unterscheiden sich oft deutlich.Typisch sind:

  • ausgeprägte Wortfindungsstörungen,

  • verlangsamte Denkvorgänge,

  • Müdigkeit und schnelle Erschöpfbarkeit,

  • Schwierigkeiten, Gespräche zusammenhängend zu führen,

  • Probleme mit Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis.

Für Angehörige ist dieser Verlauf besonders herausfordernd, weil die Veränderung abrupt eintritt und nicht graduell wie bei neurodegenerativen Demenzen.

In der Diagnostik sind hier Testprofile, Verhaltensbeobachtung und Anamnese (Zeitpunkt, Verlauf, Vorerkrankungen) essenziell.


Warum klassische Alzheimer-Diagnostik bei atypischen Verläufen nicht ausreicht

Screening-Instrumente wie MMSE, Uhrentest oder Kurzfragebögen können wertvolle erste Hinweise liefern – aber sie reichen für eine fundierte Diagnostik nie aus. Sie erfassen nur Ausschnitte der kognitiven Leistungsfähigkeit und übersehen häufig exekutive, sprachliche, verhaltensbezogene oder alltagspraktische Veränderungen. Besonders bei atypischen oder komplexen Verläufen führen Screening-Tests leicht zu Fehleinschätzungen: Menschen können in der Testung noch relativ gut wirken, während der Alltag bereits massiv beeinträchtigt ist. Eine verlässliche Diagnose entsteht daher immer aus einer Kombination von differenzierten Testverfahren, klinischem Gespräch, Angehörigenanamnese, Alltagsbeobachtung und – wenn nötig – bildgebenden oder neurologischen Zusatzbefunden.

Bei atypischen Verläufen braucht es:

  • differenzierte Testbatterien wie CERAD, FAB-D, BCRS, Trail Making Tests

  • neurologische und bildgebende Zusatzabklärungen

  • Alltagsbeobachtung über Angehörigenberichte und Pflegepersonen

  • funktionelle Diagnostik: Was gelingt, was misslingt, und unter welchen Bedingungen?


Gerade die funktionelle Sichtweise ist entscheidend, weil sie auch das Pflegegeld beeinflusst: Ein gutes Testergebnis kann einen massiven Alltagsverlust nicht aufheben.


Warum Angehörige bei atypischen Verläufen besonders früh aktiv werden sollten

Wenn Symptome nicht ins „klassische Demenzbild“ passen, neigen viele Familien dazu, lange abzuwarten. Es ist aber genau dann besonders wichtig, früh zu handeln. Gründe:

  • atypische Verläufe schreiten oft dynamischer voran

  • Belastung für Angehörige ist häufig höher

  • therapeutische und strukturelle Maßnahmen müssen früh greifen

  • viele Verhaltensänderungen lassen sich nur im frühen Stadium gut begleiten


Frühe Diagnostik schafft Klarheit, Orientierung, Sicherheit – und verhindert, dass Angehörige über Monate oder Jahre im Ungewissen bleiben.

Fazit: Atypische Demenzverläufe brauchen eine Diagnostik, die genauer hinsieht

Gerade wenn Symptome untypisch sind, ist eine präzise, multiperspektivische Diagnostik unverzichtbar. Sie zeigt nicht nur, welche Art von Demenz vorliegt, sondern auch, welche Art von Unterstützung notwendig ist – für Betroffene wie für Angehörige.

ree

 
 
 

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© 2021 Christine Leyroutz - Alle Fotos von Fotografie_Lebzelt

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