Wenn Demenz peinlich wird – und was das mit uns macht
- leyroutz
- 2. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Heute im Demenzcafe ein großes Thema und der Wunsch der Teilnehmer:
„Können Sie bitte Ihre Mutter nicht alleine lassen? Sie hat gerade laut im Supermarkt geschimpft.“„Er hat die Nachbarin auf die Brüste gestarrt – das war mir so unangenehm.“„Meine Frau hat plötzlich angefangen zu fluchen – das hat sie früher nie getan.“
Solche oder ähnliche Situationen kennen viele Angehörige von Menschen mit Demenz. Es sind Momente, die irritieren, beschämen, hilflos machen. Was ist los, wenn sich ein Mensch plötzlich unangemessen, laut, schamlos oder sogar entblößend verhält?
Was ist „peinlich“ – und für wen?
Peinlichkeit entsteht nicht im luftleeren Raum. Sie ist ein soziales Gefühl – das entsteht, wenn gesellschaftliche Normen verletzt werden und wir glauben, dass „man das nicht tut“. Aber was „man tut“, hängt stark vom kulturellen Kontext, von Erziehung und persönlicher Geschichte ab.
Wenn ein demenzerkrankter Mensch sich plötzlich anders verhält – enthemmt, direkt, laut, fluchend oder aufdringlich – dann prallt dieses Verhalten auf das innere Regelwerk der Angehörigen. Und genau dort entsteht das Unbehagen.
Warum passiert das?
Bei einer Demenz – vor allem bei frontotemporalen oder fortgeschrittenen Formen – verändert sich die soziale Steuerung im Gehirn. Filter, die früher für Zurückhaltung sorgten, fallen weg. Gleichzeitig bleibt das emotionale Erleben oft erhalten oder wird sogar stärker.Das kann bedeuten:
Hemmungen lassen nach → direkte Sprache, sexuelles Verhalten, Grenzüberschreitungen
Emotionen brechen ungefiltert durch → Schimpfen, Weinen, Lachen in „unpassenden“ Momenten
Rollen werden vergessen → eine ehemals zurückhaltende Frau flirtet wild mit dem Kellner
Und was macht das mit den Angehörigen?
Für viele ist das Schamgefühl kaum auszuhalten. Man möchte am liebsten im Boden versinken. Manche reagieren mit Wut oder beschämen ihrerseits den Erkrankten – nicht, weil sie es wollen, sondern weil sie selbst emotional überfordert sind.
Es kann hilfreich sein, sich bewusst zu machen:
Die betroffene Person meint es nicht persönlich.
Sie hat die Kontrolle über ihr Verhalten teilweise oder ganz verloren.
Das Verhalten sagt nichts über den Charakter oder die Würde dieses Menschen aus.
Was hilft im Umgang?
1. Atmen. Raum schaffen.Erstmal innerlich zurücktreten. Du darfst dich unwohl fühlen – aber du musst nicht sofort reagieren. Oft reicht es, ruhig zu bleiben.
2. Einordnen statt werten.Versuch, das Verhalten wie ein Symptom zu betrachten – ähnlich wie Fieber bei einer Grippe. Es ist nicht „böse“ – es ist ein Ausdruck der Erkrankung.
3. Humor kann entlasten.Wenn es für dich passt, hilf dir mit einem Augenzwinkern: „Ach, meine Mutter flirtet wieder, da geht’s ihr wohl gut heute.“
4. Andere vorbereiten.In Pflegeeinrichtungen oder bei Freunden kann es helfen, im Vorfeld auf das Verhalten hinzuweisen: „Bitte wundert euch nicht, mein Vater kommentiert manchmal laut, was er sieht – das gehört zur Erkrankung.“
5. Scham aussprechen.Wenn dich eine Situation belastet hat, sprich mit jemandem darüber. Scham wird kleiner, wenn sie geteilt werden darf.
Abschließend: Peinlich ist nicht gleich entwürdigend.
Würde ist kein Verhalten – sie wohnt im Menschsein selbst. Auch wenn sich ein Mensch mit Demenz „peinlich“ benimmt, bleibt er ein Mensch mit Würde. Vielleicht ist das unsere größte Herausforderung: Nicht nur den Menschen hinter der Demenz zu sehen – sondern ihn auch dann noch zu lieben, wenn er uns unangenehm ist.

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