Wenn Einsicht fehlt – wie Angehoerige mit fehlender Krankheitseinsicht umgehen koennen
- leyroutz
- 22. Okt.
- 2 Min. Lesezeit
„Er merkt gar nicht, dass er krank ist.“„Sie glaubt, sie könne noch alles alleine.“ Solche Sätze höre ich in Beratungen immer wieder – und sie tragen meist mehr Schmerz in sich, als sie zeigen. Denn hinter ihnen steckt nicht nur Sorge, sondern auch Hilflosigkeit: Wie soll man jemanden schützen, der gar nicht einsieht, dass er Hilfe braucht?
Die fehlende Krankheitseinsicht ist eines der schwierigsten Phänomene in der Begleitung von Menschen mit Demenz. Sie kann Angehörige in eine ständige Gratwanderung bringen – zwischen Fürsorge und Respekt, zwischen Sicherheit und Autonomie.
1. Verstehen statt überzeugen
Es ist entlastend zu wissen: Die fehlende Einsicht ist kein Widerstand, sondern Teil der Krankheit.Das Gehirn kann die eigenen Defizite nicht mehr richtig wahrnehmen – so wie ein Blinder seine Blindheit nicht „sehen“ kann. Versuche, zu argumentieren oder zu überzeugen, führen daher meist zu Frust auf beiden Seiten.Stattdessen hilft: Verstehen, dass Nicht-Erkennen ein Symptom ist. Das schafft inneren Abstand und verringert Konflikte.
2. Emotionale Wahrheit vor sachlicher Wahrheit
Wenn jemand mit Demenz sagt: „Ich kann das alleine!“, geht es selten um die Sache – sondern um das Gefühl von Selbstbestimmung. Angehörige können lernen, auf dieser emotionalen Ebene zu antworten: „Ja, du konntest das immer gut – und ich helfe dir, weil ich dich mag, nicht weil du es nicht kannst.“ So bleibt Würde gewahrt, ohne in Diskussionen zu geraten.
3. Sicherheit schaffen – ohne Kontrolle spürbar zu machen
Ein häufiger Konfliktpunkt ist Sicherheit: Autofahren, Geld, Medikamente. Statt plötzlicher Verbote oder Konfrontationen ist es oft klüger, Strukturen unauffällig zu verändern. Zum Beispiel:
lieber gemeinsam einkaufen statt Geld abnehmen
lieber „neue Regeln der Hausverwaltung“ vorschieben als eigene Entscheidung
lieber gemeinsame Arzttermine als „du musst zum Arzt“
Das Ziel ist: Sicherheit durch Beziehung, nicht durch Macht.
4. Eigene Grenzen achten
Angehörige geraten leicht in einen ständigen Alarmzustand. Sie versuchen, den Alltag des anderen zu kontrollieren, weil dieser es selbst nicht mehr kann – und verlieren dabei das eigene Gleichgewicht. Hier gilt: Man darf loslassen, ohne gleichgültig zu werden. Hilfreich ist, Aufgaben zu teilen, Hilfe von außen anzunehmen und Schuldgefühle bewusst zu hinterfragen. Nicht jede Gefahr lässt sich verhindern, aber vieles lässt sich begleiten.
5. Humor, Zärtlichkeit und kleine Fluchten
Fehlende Einsicht kann auch komische, manchmal absurde Situationen schaffen. Man darf darüber lachen – liebevoll, nicht spöttisch. Humor entspannt das Nervensystem und öffnet den Blick für das Menschliche hinter der Krankheit. Auch kleine Auszeiten – ein Spaziergang, Musik, Gespräche mit anderen Angehörigen – sind kein Luxus, sondern Überlebensstrategie.
Am Ende geht es nicht darum, dass der Mensch mit Demenz seine Krankheit versteht,sondern dass wir verstehen, was in ihm vorgeht. Wenn wir begreifen, dass das Leugnen Teil des Schutzes ist – dann können wir mitfühlender reagieren, ohne uns ständig aufzureiben. Das ist keine Kapitulation, sondern eine Form von Weisheit.








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